Veränderung als Konstante des Lebens
Sieben Uraufführungen beim Dance Lab am Theater Regensburg
Gabriel Pitonis Tanzstück „Next To Me“ im Regensburger Antoniushaus
Wer nicht nur mit dem Auto unterwegs ist, kennt das. Steigt man in den Zug und läuft durch halbleere Abteile, ist jeder zweite Sitz mit einer Tasche oder einem Rucksack verstellt. Next To Me – nur Ich! Jetzt bloß keinen Blick vom Handy lösen, scheinen sämtliche Sitzende zu denken, der Neuankömmling könnte mich ja ansprechen. Dessen Augen streifen suchend umher, bis ein Blick ins Gesicht eines bärtigen jungen Mannes wie eine Einladung wirkt. Next To Me – der und die Andere, Neuankömmling, Nachbar*in.
Suchend gehen auch die Augen der Tanzenden auf der kargen Bühne im Antoniushaus an die Decke, die grauschwarzen Wände, aneinander vorbei ins Leere. Langsam bewegen sie sich in schwarzen Anzügen von einer Seite zur anderen, kommen sich nahe, weichen einander aus, treffen sich. Trockennebel trübt den nackten Raum leicht ein. Ein Scheinwerfer hebt Einzelne hervor und scheint sie wie einst beim Raumschiff Enterprise an die hintere Wand zu beamen. Dort stehen sie aufgereiht.
Ein weiterer Tänzer kommt hinter der Wand hervor. Ein wirkmächtiger Sound setzt ein, die Tanzenden grooven sich ein, schütteln mit den Armen, geben die Bewegung weiter, daneben ein Solo. Kurze groteske Ausbrüche aus den synchron getanzten Abläufen schaffen individuellen Raum, bis sich die Ausbrechende wieder in die Formation des Ensembles eingliedert.
„Next To Me“, in der Bedeutung von „neben mir“, „an meiner Seite“, ist der erste Tanzabend am Theater Regensburg in dieser Spielzeit. Die Uraufführung der Choreografie von Gabriel Pitoni erlebte im Antoniushaus eine heftig gefeierte Premiere voll impulsiver Schreie und Johlen aus dem Publikum, das analog zum Tanzensemble bald in einen synchronen Beifall verfiel. In die Rück- und Seitenwände eingelassene Kuben, von hinten effektvoll beleuchtet, ziehen die Tanzenden heraus und schaffen auf höchst einfache Weise immer wieder neue Räume und Tanzsituationen. Die effiziente Ausstattung von Manuel Marte in Verbindung mit einer eindrucksvollen Lichtregie (Wanja Ostrower, Pitoni) und machtvoller, soundgetriebener Musik kreieren eine durchgehend spannungsvolle Stimmung, in der sich der Tanz mit züngelnder Erregung entfalten kann.
Nach und nach beginnen sich einzelne Tänzer*innen anzunähern, berühren sich, zucken zurück, nehmen Kontakt auf. Eine Tänzerin löst sich aus dem Ensemble. Die pulsierende Musik verliert sich und macht einem heftigen Atemsound Platz, in dem sich die Tänzerin in einem angsterfüllten Solo freikämpft. Wiedereinsetzende maschinell wirkende Grooves werden in starken Gesten und ausladenden Armbewegungen umgesetzt, in schnellen Läufen und harten Sprüngen wirkt die verhältnismäßig kleine Tanzfläche vielfach vergrößert.
Allein die durch Tanz und Choreografie erzeugte Raumwirkung entfaltet einen Sog, in welchen die Zuschauenden hineingezogen und darin festgehalten werden. Zudem erzeugen die hämmernden, repetitiven Sounds elektronischer und neoklassischer Musik eine unnachgiebige Spannung, die nicht nur die Mitglieder des Tanzensembles, sondern auch das Publikum gehörig unter Strom setzt. Nur wenige Male weicht diese pulsierende Hochspannung, die den Tanzenden alles abverlangt, auf und gibt ruhigeren Stimmungen Raum. Darin finden sich Paare und geben starke gefühlsbetonte Bewegungsabläufe in leicht abgewandelter Form von einem zur anderen weiter.
Zusammengeschobene Blöcke dienen als Tisch und Stühle für synchron getanzte Bankette. Immer wieder lösen sich auch einzelne Tänzer*innen aus der dynamischen Gruppenchoreografie, gehen auf Distanz und zeigen eigene Gefühle von Zuwendung, Neugier und Verlangen. Besonders beeindruckend ein Solo, bei dem sich ein Tänzer mittels Kreide in einem kleinen Raum einsperrt und dies mit erschütternder Beklemmung ausdrückt.
Die enorme tänzerische Herausforderung meistert das zur Hälfte neu besetzte Ensemble der Tanzkompanie ganz hervorragend. Damit stellt es auch seine Fähigkeit zur Integration unter Beweis. In ihrer packenden, präzisen Umsetzung der aus vielen Momenten körperlicher Begegnungen bestehenden Choreografie macht sich allerdings auf Dauer ein Hang zu einer gewissen Monotonie breit.
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