So stirbt eine Primaballerina
Ein Nachruf auf Ludmilla Naranda
„Jetzt weiß ich, warum ein Erwachsener Peter Pan tanzt“, hörte ich ein Mädchen bei der Premiere von „Peter Pan“ am Donnerstag im Gärtnerplatztheater sagen. Eigentlich seltsam, denn Peter Pan, der in der Handlung etwa 11 bis 13 Jahre alt ist, möchte doch gar nicht erwachsen werden. Doch gerade da zeigt sich das Dilemma: Die Figur, die neben schauspielerischer Kunst und Gestaltung vielfach Akrobatik abverlangt, also hohe technische Anforderungen stellt, kann ein Kind im Alter von Peter Pan noch gar nicht ausführen. Das führt dazu, dass diese Rolle oft von jungen Frauen dargestellt wird.
Hier aber verkörpert Alexander Quetell mit Schalk und Witz diese Rolle. Er zeichnet sich durch Sprunghaftigkeit, vor allem durch Sprungkraft aus. Die Art und Weise, wie er und das Ensemble die Schwerkraft scheinbar besiegen und souverän zwischen Akrobatik, Capoeira, klassischem und zeitgenössischem Tanz changieren, ist atemberaubend. Virtuose Hebungen wirken kraftvoll und zugleich souverän. Zirkusakrobatik in luftiger Höhe machen die verschiedenen erzählerischen Ebenen dieses Ballettmärchens anschaulich. Mit Jana Baldovino als charmante Fee Tinkerbell rauscht eine agile, lebhafte und mitreißende Tänzerin über die Bühne, mit der Peter, die Darling-Kinder Wendy (Emily Yetta Wohl), John (Matthew Jared Perko) und Michael (Mikael Champs) ihre aufregende Reise nach Nimmerland antreten können.
Freiheit der Fantasie
Die fiktive Insel steht für kindliche Fantasie, für Freiheit, einen Ort, an dem die Kinder nicht mit dem Erwachsenwerden konfrontiert werden, sondern einfach Kinder bleiben dürfen. Dort gelten andere Gesetze als in der Welt der Erwachsenen. Ob Nimmerland für Idylle steht, muss bezweifelt werden. Folglich steht das (Nimmer)land der unbegrenzten Möglichkeiten auch für „unbegrenzte Grausamkeiten oder auch Rücksichtslosigkeiten“, etwa dargestellt in ausdrucksstarken und martialischen Kreistänzen oder auch Hip-Hop-Einlagen. In jenem Land herrscht Peter Pans Erzfeind Piratenkapitän Hook (David Valencia).
Schein und Wirklichkeit sind nicht klar voneinander zu trennen, Schattenreich und sonniges Gemüt, Brutalität und Unbeschwertheit stehen immer wieder im Wettstreit. Diejenigen, die auf Humor nicht verzichten können, kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Auch die für Kinder typische Kissenschlacht im Kinderbett endet zum Glück nicht in Klamauk, sondern lädt zum Schmunzeln ein. Dass alle Beteiligten nicht nur athletisch und künstlerisch unter Strom stehen, zeigt, dass „Peter Pan“ sich als ein zeitloses Märchen großer Beliebtheit etabliert hat. Das Ballettmärchen erlebte als Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz seine Uraufführung im Jahr 2016 im Cuvilliéstheater und ist das Ergebnis eines perfekten Zusammenspiels von Musikern und Ballett. Die Frage, ob man Erwachsen werden möchte, stellt sich in unserer Welt nicht. Sich das Kindsein und damit die Neugier zu bewahren, kann jeder selbst entscheiden. Die Möglichkeit, in Traumwelten zu reisen, eröffnet der italienische Choreograf Emanuele Soavi mit seinem Ballettmärchen in jedem Fall.
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