„Tanz schafft Räume“
Tanzplattform 2024 in Freiburg eröffnet
Kunst gucken ist auch bei der Tanzmesse immer wieder einer der größten Genüsse. Besonders, weil eben nicht jedem das Gleiche schmeckt. Honne Dohrmann, Direktor von tanzmainz, hat es im persönlichen Gespräch treffend auf den Punkt gebracht, als er meinte, auf der Tanzmesse träfe man eben auf ein Publikum, das einen dezidierten Geschmack mitbrächte. Standing Ovations, so seine Beobachtung, gäbe es hier seltener als auf Festivals.
Im Prinzip hat er damit Recht. Kritisch-wohlwollend zeigt man sich gern, aber für spontane Gefühlsausbrüche ist das Interesse zu unterschiedlich. Andererseits könnte man sagen, dass Dohrmann mit dem Abschluss der diesjährigen tanzmesse, dem Gastspiel des Dance On Ensemble mit dem so sanften wie kraftvollen „Mellowing“ in der Oper Düsseldorf sehr wohl eines Besseren belehrt worden ist: Die Arbeit in der Choreografie von Christos Papadopoulos mit dem mesmerisierenden Soundteppich von Coti K hat bereits bei jedem Gastspiel das Publikum von den Sitzen gerissen. Das war in diesem Fall nicht anders. Obwohl es, und das ist durchaus bemerkenswert, tatsächlich einige Zuschauer*innen nicht geschafft haben, die augenscheinlich recht statisch wirkende erste Phase durchzusitzen und dem Stück damit eine Chance zu geben. Dass sie nicht nur die dramaturgische Entwicklung des Stücks sondern auch schlichtweg die besten Momente verpasst haben, dürfen sie jetzt hier schmerzlich erfahren. So kann's gehen im Leben.
Trotzdem ist es ja schön, jede Vorstellung nach Belieben verlassen zu dürfen, gern natürlich unter möglichst geräuschintensivem Türenschlagen. Jenes Geräusch hat im Fall von „a dance routine“ von Katharina Senzenberger und Miriam Rieck allerdings nicht die Performance gestört. Die monoton wummernden Beats haben einem derart gründlich die Eingeweide umgerührt, dass für ein feines Türenschlagen kein akustischer Raum mehr gegeben war. Ob es eben diese Sounds waren, die eine nicht unbeträchtliche Zahl der Zuschauer*innen im tanzhaus haben die Flucht antreten lassen? Oder lag es doch an der Belanglosigkeit des Bewegungsmaterials? Es spricht ja nichts dagegen, sich alltägliche Gesten zur Brust zu nehmen, um sie als Vorlage für das eigene künstlerische Konzept herzunehmen. Nur dann sollte selbiges aber auch besser erkennbar sein und nicht beliebig und etwas uninspiriert daherkommen. Trash? Das lässt sich zu leicht behaupten.
So geht Trash!
Wie Trash wirklich geht, hatte nur eine Stunde vorher Moritz Ostruschnjak in der Mitsubishi Electric Halle deutlich gemacht. Er hat die markanten Tänzer*innen von tanzmainz in einen fiktiven „Trailer Park“ gesperrt. Und für all jene, die mit den sozio-ökonomischen Gegebenheiten US-amerikanischer Wohnsituationen nicht vertraut sind: Trailer Parks bilden tatsächliche Wohnstätten weniger Begüterter oder, wie manche böse formulieren, niederer sozialer Schichten. Liegt dadurch Provokation bereits im Titel?
Wer Ostruschnjaks Arbeiten kennt, kann sich bereits im Vorfeld denken, dass er dem Publikum hier keinesfalls schlichte Sozialkritik serviert. Was er hier serviert, ist ein dicker, ironiegesättigter Mittelfinger. Die Art, in der der Choreograf aus dem Vollen der überpräsenten Tanzstile, Begrüßungsrituale und sozial aufgeladenem Rumgepose bedient, ist eine Wonne. Er klaut, kopiert, dekonstruiert und schafft aus seinen Versatzstücken eine neue Sprache, die aber keine ist. Genau das, wiederum, befragt er mit „Trailer Park“ intensiv und mit einer Selbstverständlichkeit, die vielleicht nicht jeden erreicht. Als kleine Einstiegs- und Interpretationshilfe sei hier der grandiose Song „Welcome to the Internet“ von Bo Burnham empfohlen, den Ostruschnjak in „Trailer Park“ (als einzigen) fast in kompletter Länge einsetzt. Der sagt schon jede Menge.
Endlos ließe sich über noch viele weitere Schmankerl schwärmen, wie über „BLOT – Body Line of Thought“ von Action at a Distance / Tangaj Collective, das Vanessa Goodman und Simona Deaconescu in der Fabrik Heeder in Krefeld gezeigt haben. Über die Vermessung des Inneren des menschlichen Körpers, besonders dessen Viren und Bakterien, versuchen sie, zu erfassen und zu verstehen, was im Inneren des Menschen vorgeht, bekommen aber, und das ist der besondere Kniff an der Sache, keinen Zugang zu den Emotionen. Sichtbar wird das in einer befremdlichen Bewegungssprache, die beide wie dysfunktionale Puppen wirken lassen.
Genauso befremdlich zeigte sich auch „La Burla“ von Bruno Brandolino und Bibi Dória, ebenfalls in Krefeld, das minutenlang ohne jegliche Bewegung auskommt. Reglos sitzen bzw. liegen beide auf der Bühne, bis irgendwann ein heulender Ton die Stille durchbricht. Was folgt, ist eine Art komplexes Ritual, semi-religiös, heidnisch, ikonografisch: Da werden Judith und Holofernes genauso sichtbar wie Penthesilea und Achill. Die Rollen, Funktionen und Machtverhältnisse zwischen beiden Performern verschieben sich immer wieder, bis das stimmintensive Miteinander langsam rübergleitet in alberne Neckereien, geräuschloser Lachkrampf in slo-mo inklusive. Genau diese Komplexität steckt bereits im Titel der Arbeit, der sich mit Neckerei oder Spöttelei, aber eben auch mit Mystifikation übersetzen lässt.
Solcherlei Spöttelei und gar Verhöhnung hatte das bierdosenbestückte Stamm-„Publikum“ des Bertha-von-Suttner-Platzes in ausreichendem Maß für das übrig, was sich gleich mehrmals vor der Agora zwischen den Brunnen abgespielt hat. In der partizipativen Arbeit „Boxed“ von Wired Studio / Simone Wierød wurde das Publikum zu Performer*innen. Den in Kunstrezeption Ungeübten bot sich damit das Bild einer Gruppe von Menschen, die, alle mit Kopfhörern ausgestattet, schweigend aber offenbar gut gelaunt große hölzerne Würfel über den Platz trugen und sich daran erfreuten, selbige übereinander zu stapeln. Und als sie fertig waren, klatschten manche der Umstehenden. Schon klar: Sowas sieht eben nicht jeder alle Tage. Komische Leute ...
Queere Identität und postkolonialistische Kritik
Die gewiss spaßigste, dabei aber kein bisschen oberflächliche Arbeit im Programm war aber wohl ganz eindeutig „Daddy“ von und mit Joel Bray. Sich lasziv auf einem plüschig-rosa Sofa räkelnd und nur mit einem knappen Höschen bekleidet empfängt er das Publikum im tanzhaus. In dieser barock-schwülstigen Pierre et Gilles-Ästhetik setzt der blonde Aborigines Hunk gleich zu Beginn einen deutlich ironisch-queeren Akzent. Und ja, diese persönlichen Zuschreibungen sind bewusst gewählt, nämlich von ihm selbst. Obwohl er sich ja selbst eigentlich lieber (noch?) als Twink anpreisen würde. Und das mit Mitte 40. Nun ja, als Schwuler hat man’s eben echt nicht leicht.
Er treibt das Publikum in seiner immersiven Performance umher, spannt das Publikum als Helfer und Unterstützer für seine (Selbst-)Inszenierung ein und schafft einen herrlichen Moment der Gemeinsamkeit, indem er dem Publikum die grundlegenden Tanz-Moves für den Club beibringt. Richtig eingesetzt, kommuniziert man damit nämlich erfolgreich im Balzritual auf dem Dance Floor.
Bray verwebt die Schwierigkeiten (oder Unmöglichkeiten) schwuler Identität mit denen seiner Herkunft: Er ist (in Teilen) Aborigines, hat aber nie die Sprache seines Stammes gelernt. Wenn er mittels eines Tutorials mühevoll die korrekte Aussprache des Satzes „Wann sehen wir uns wieder?“ übt, verzahnen sich die beiden Themenbereiche desto schmerzlicher.
Identität und ganz konkret die eigene ist für Bray Anlass, berechtigte postkoloniale Kritik zu üben. Er berichtet davon, wie „die Weißen“ strategisch Aborigines in Abhängigkeiten und Armut gebracht hat, um die Frauen dazu zu bringen, europäische Männer zu heiraten. Das Ziel: „to outbreed“ sein Volk. Eine widerliche Formulierung, die das Kind beim Namen nennt. Er lässt seiner Wut freie Bahn, bleibt aber ohne Vorwürfe. Stattdessen gibt er ganz unmissverständlich zu: „I don’t have the answers.“ Er bricht diese Misere, indem er das Publikum schließlich auffordert: „Let’s make dessert!“ Er schmiert sich mit Butter ein und lässt sich von den Zuschauer*innen mit Marshmallows, Schokostreuseln und Schlagsahne garnieren. Mit dieser Geste wischt er aber nicht etwa alle Problematiken leichtherzig vom Tisch. All diese Zutaten enthalten vor allem eins: Zucker. Und Zucker war es, wie er noch kurz zuvor berichtet hatte, mit dem die Europäer den Aborigines Diabetes brachten. So lecker kann man sich das eigene Erbe aneignen.
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