Zwischen Rosenblüte und Sternenstaub
Zwei weitere Premieren, diesmal von Ilia Jivoy und Robert Robinson, beim Origen Festival
„Was auch immer das Schicksal für uns bereithält, es kommt von den Bergen, die über uns emporragen.“ So die Worte von Pietro, einem der beiden Protagonisten in Paolo Cognettis Roman „Le otto montagne“. Sie haben einen besonderen Nachhall im kleinen Dorf Riom, das sich im Val Surses auf 1200 Meter Höhe an den Osthang des Piz Toissa schmiegt, viele Gipfel rundherum in Sichtweite.
Hier hat der Brite Robert Robinson, der nach seiner solistischen Karriere in Stuttgart und Hannover inzwischen freischaffend als Choreograf tätig ist, für die Winterausgabe des Origen Festivals sein neuestes Werk geschaffen. „Eight Mountains“ ist inspiriert durch die literarische Vorlage (die auch verfilmt wurde) und wie geschaffen für den Ort und die Spielstätte in der Clavadeira. Fast ist man geneigt, sich der Fantasie hinzugeben, dass Bruno, der zweite Protagonist des Buches, seine Handwerkskünste in diesem schlicht und geschmackvoll von Scheune zum Theaterraum umfunktionierten Bau unter Beweis hätte stellen können.
Robert Robinsons drittes Werk für Origen ist keine Nacherzählung des italienischen Bestsellers, in dem es um die Freundschaft zweier Jungen geht, die gemeinsam in den Bergen aufwachsen, mit Pietros Vater als eine für beide in unterschiedlicher Weise prägende Figur. Der Vater stirbt, Pietro zieht es in die Welt, Bruno bleibt in der Heimat, viele Jahre später begegnen beide sich wieder. Robinson hat die ohnehin überschaubare Anzahl Figuren des Romans in seinem Stück reduziert auf diese drei Charaktere. Mit Klarheit, leiser Kraft und Zärtlichkeit destilliert der Tanz die Kernelemente der Geschichte heraus, mitgetragen von der stimmigen Musik (Musikdesign: Ed Shaw).
Überzeugende Darsteller
Der Italiener Luigi Sardone bringt reiche Erfahrung aus diversen zeitgenössischen Kompanien mit. Als das Alter Ego Brunos zirkelt er in seinem ersten Solo seine Welt um sich ab, immer wieder die Verbindung zum Boden suchend; seine Verbindung zur Heimat ist unzertrennbar. Im Roman sagt Bruno, er habe sich sein behändes Fortbewegen im Hochgebirge von Gämsen abgeschaut. Die Choreografie scheint dieses Bild aufzunehmen und entspricht Sardone sehr. Der fantastische Tänzer ist bei all seiner kraftvollen Athletik ungeheuer fluide und wachsam, alterniert rasant zwischen Bodenhaftigkeit und Schnelligkeit. Robinson bringt in der Begrüßung zu Recht Bewunderung für den „Legato-Stil“ Sardones zum Ausdruck.
Robert Robinson wirkt selbst in seinem Stück mit, verkörpert mit Sensibilität und Finesse die Figur Pietros, den es in die Welt hinauszieht. Der große und auf unaufdringliche Art äußerst elegante Tänzer, sucht im Gegensatz zu Sardone den Aufbruch, daran lassen die Duette der beiden keinen Zweifel. Blicke gehen in die Ferne, die Arme werden hier und da sehnsuchtsvoll zu Flügeln ausgebreitet, eine gewisse Rastlosigkeit wohnt ihm inne. Die Verbindung mit dem Vater wird zu Beginn spannend verdeutlicht in einem Duett, in dem beide, verbunden durch ein Kletterseil, um Dominanz und Autonomie ringen. Auch nachdem das Seil gelöst ist, lässt die Choreografie es weiterhin spüren, geht das Spiel zwischen Nähe und Distanz weiter. Kopf des Sohnes und Brust des Vaters finden sich nur kurz, Zuneigung und Abwehr wechseln sich in verhaltenem Takt ab.
Mit 62 auf der Bühne
Für die Rolle des Vaters hatte Robinson explizit einen Tänzer „50+“ gesucht und ihn in Kevin O'Day gefunden. „In the dance world, and many others, age is often seen as a limitation, when in reality it is a testament to experience, depth, and resilience“, so Robinsons treffende Beobachtung. Es ist bereichernd, den in sich ruhenden, charismatischen 62-jährigen Kevin O'Day, der seine lange und beeindruckende Karriere als Tänzer, Choreograf und Direktor in vielen und neuen Formen weiterführt, auf der Bühne zu erleben. O'Day zeigt eindrücklich darstellerische Ausdruckskraft, fesselnde Präsenz und tänzerisches Können; er ist wie gemacht für die Rolle. Zurückhaltend geerdet, aber auch mit abrupter Kraft, lässt er in Duetten mit Sohn und Freund, und auch in einem berührenden Solo zu Nina Simones „The Twelfth of Never“, den Charakter des Vaters aufscheinen, der durch seine Verbindung zur Bergwelt beiden heranwachsenden Männern ein Vermächtnis hinterlässt. In sein Hemd schlüpft aber nicht der Sohn, sondern der Freund.
Roman-Elemente
Elemente und Stimmungen des Romans verwebt Robinson organisch in seiner Choreografie. Auf einem wiesengrünen Teppich treffen beide Freunde aufeinander, in den von Lichtdesigner Lukas Marian gezauberten Wolkenhimmel schauend. Etwas Höheres scheint sie zu verbinden. Sie studieren die Wanderkarte des Vaters, Oberkörper und Hände finden sich, mal stützt und hält der eine, mal der andere. Sardone skizziert mit den Händen das Bauen, Robinson macht mit Rucksack traumwandlerische Schritte, die ihn von der Heimat entfernen werden. Aber überall warten die Berge auf ihn, so in einem clever gemachten und sehr cineastisch anmutenden Moment zu Musik aus Ravels „Daphnis und Chloé“, in dem Robinson mit vier großen Steinen im wabernden Nebel am Boden das Klettern imitiert.
Bei Dunkelheit, in heulendem Sturm (Franck Bourgoin lässt die unwirtlichen Elemente akustisch durch den Raum tosen), sitzt Sardone gebückt, seine Füße wollen sich vortasten, seine Hände ziehen sie zurück. Sein Kreis ist und bleibt klein, der zurückgekehrte Robinson verdeutlicht es mit Kreide bildlich. In der rauen Natur, angedeutet von auf ihm liegenden Felssteinen, endet das Leben des Daheimgebliebenen. Ein anrührendes Bild, über das der weitgereiste Freund auf den Stufen der Clavadeira wacht. Nicht nur der Schluss, das ganze Stück geht ins Herz. Mit „Eight Mountains“ ist Robert Robinson ein Tanztheater-Werk von beeindruckender Stringenz und Reife gelungen. Eine Ode an diesen besonderen Ort und an menschliche Verbundenheit, mit der einen oder anderen Träne im Auge und Begeisterung gefeiert.
An diesem warmen Vorstellungstag im März scheint der Sommer gar nicht so weit. Zwischen Mitte Juli und Mitte August wartet dann das Origen Festival mit acht Tanz-Uraufführungen auf, Begegnung mit den Bergen inklusive.
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