„Nothing is Something like Everything“ von Michikazu Matsune

Im Mainstream angekommen

„Silent Legacy“ von Maud Le Pladec und die Uraufführung von Michikazu Matsunes „Nothing is Something like Everything“ bei ImPulsTanz Wien

Maud Le Pladec zieht mit Krumping das Publikum in den Bann und lässt eine knappe Stunde wie im Flug vergehen. Michikazu Matsune beschäftigt sich mit Erinnerungen, Wünschen und der Zeit.

Wien, 05/08/2024

Seit der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris ist die Arbeit von Maud Le Pladec einem Millionenpublikum bekannt. Auch Adeline Kerry Cruz, 10-jähriges tänzerisches Wunderkind, und Jr Maddripp waren dabei zu sehen. Nun war sie mit „Silent Legacy“, 2022 beim Festival d’Avignon uraufgeführt, im Rahmen von ImPulsTanz in Wien zu Gast. Ein Stück, das Wut den Raum gibt und den Umgang mit kulturellen Normen hinterfragt. Es beginnt mit einem Solo von Cruz, ganz im Krumping-Stil. Dieser eher aggressive Tanzstil ist in den 2000er-Jahren in South Central, einem der ärmsten Viertel von Los Angeles entstanden. Das eigentliche Ziel war, das schwierige Leben der innerstädtischen Jugend zu verändern. Genau dieser Hintergrund steht dann in einem Gegensatz zu einer theatralen Performance. Einerseits ist es toll, wenn eine Tanzform zum Mainstream wird, und Adeline Kerry Cruz beherrscht den Stil perfekt, andererseits wirkt es doch etwas unnatürlich, wenn ein zehnjähriges Mädchen ihre Wut vertanzt und hinausschreit. Die Choreografie dieses Solos kreierte Pladec gemeinsam mit Jr Maddripp, der dann auch mit Cruz ein spannendes Duo tanzt.

Einen starken Kontrast bildet das Solo von Siaska Chareyre, ursprünglich von Pladec für und mit Audrey Merilus gestaltet. Pladec hat sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, was in einen Körper durch die Gesellschaft, durch kulturelle Normen aber auch durch die tänzerische Ausbildung eingeschrieben wurde und wird. Mit den Mitteln des zeitgenössischen Tanzes arbeitend ist ein auf den ersten Blick ruhiges Solo entstanden, das sich aber bei genauerem Hinsehen als Befreiungskampf entpuppt. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die treibende Musik von Chloé Thévenin. Am Ende dieses Stückes, in dem der Tanz im Mittelpunkt steht, fühlt man sich als Zuschauer*in energetisch aufgeladen.

Spiel mit der Zeit

Eine große Digitaluhr dominiert das Bühnenbild von „Nothing is Something like Everything“. Mit Stückbeginn wird sie von einer Stunde herunterzählen. Eine Stunde, die sehr unterschiedlich erlebt werden kann. So wird Alexandra Mazek diese Stunde auf der Bühne im Schneidersitz meditieren, während das sehr theatrale Stück, in dem wenig getanzt aber viel gesprochen und auch gesungen wird, rund um sie abläuft. Der seit langem in Wien lebende japanische Choreograf Michikazu Matsune hat viele unterschiedliche Ideen, wie man mit Zeit umgehen bzw. wie man sie erleben kann. Zu Beginn lassen uns sechs Performer*innen, darunter Matsune selbst, an Erinnerungen teilhaben – teilweise auch unangenehmen – und Träumen, die nicht alle in Erfüllung gegangen sind. Anhand von hartem Brot wird fast philosophisch gezeigt, wie sich Dinge im Lauf der Zeit verändern können. Zwischendurch wird immer wieder gewartet, unter anderem auf einen Essenslieferanten. Und wer kennt nicht Momente des Wartens, die als unendlich wahrgenommen werden, obwohl die Zeit immer mit der gleichen Geschwindigkeit abläuft.

Unerbittlich zählt die Uhr die Minuten und Sekunden herunter. Doch plötzlich flackert die Anzeige und erlischt. Während man auf der Bühne damit beschäftigt ist, die Uhr zu reparieren, steigt aus einer Zuschauerin plötzlich Theaternebel auf. Dieses überraschende Bild ist ein gutes Symbol dafür, dass mit der Zeit etwas nicht stimmt. Und was ist eigentlich mit der Zeit, wenn die Uhr nicht läuft? Bleibt sie stehen oder läuft sie weiter? Als die Uhr repariert ist, erkennt man, dass die Zeit weitergelaufen ist. Aber hat man nun die Uhr oder die Zeit repariert? Es sind spannende Fragen, die Matsune aufwirft jedoch nicht beantwortet. Fast ist man versucht zu sagen, zum Glück, denn es würde definitiv den Rahmen dieser einstündigen Performance sprengen, die am Ende viel Applaus erhält.

 

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