„tomorrow...we...were“ von Anna Konjetzky

Virtuos durch die (Zeitschienen-) Mangel gedreht

Anna Konjetzkys „tomorrow...we...were“ in der Muffathalle

Anna Konjetzkys neues Tanzstück hat einiges zu bieten – insbesondere für Beatle-Fans.

München, 27/09/2024

Die Gegenwart schlaucht. Was aber folgt, ist vielleicht noch weniger rosig. Gerne sehnt man sich da bisweilen lieber ins Gestern zurück. Ganz am Puls der Zeit startet hingegen gerade die freie Tanzszene in München durch. Das Schöne dabei ist der hohe, sehr assoziationsaffine Abstraktionsgrad und die große Spielfreude, mit der sich inhaltlich eher vage vorformulierte Themen auf der Bühne Raum verschaffen – vor allem körperlich und eingebettet in eine raffiniert arrangierte Akustik (mal aus dem Off, mal direkt on stage abgespielt). Und es stört kaum, wenn die Frage oftmals unbeantwortet bleibt, inwieweit ein Rückwärtsgewandtsein hilfreich für bessere Zukunftsbewältigung sein mag. 

In Anna Konjetzkys neuem Tanzstück „tomorrow...we...were“ hängen sechs Tänzer*innen in pastellbunten Anzügen bisweilen grandios verlangsamt irgendwo zwischen verklärter Vergangenheit und angestrebter, regenbogenfarbener Zukunft fest. Motor für ihren Trip über einen Highway der Nostalgie ohne jegliche Hinweise auf eine konkrete Verortung ist der Beatles-Song „Yesterday“ – vielfach zerstückelt, punktuell um Worte und Zeilen anderer Lieder bereichert und musikalisch verschiedentlich bearbeitet respektive elektronisch verzerrt (Musik: Sergej Maingardt). Sonore und optische Effekte – dramaturgisch sinnvoll miteinander verwoben – verwandeln die einstündige Performance teilweise in einen regelrechten Schleudergang. Ein Bild, das sich auch wegen des Bühnensets im Kopf einnistet, das Klaus Hammer der Choreografin gezimmert hat. 

Von zwei Zuschauertribünen auf beiden Seiten gesäumt erstreckt sich der Tanzboden. Rechts und links biegt er sich an stützenden Treppengerüsten bergauf. Immer wieder rennen oder klettern die Protagonist*innen daran hoch. Ihr wiederholtes Abrutschen in die auseinandergezogene Halfpipe erinnert bei bestimmten Lichtstimmungen an den Blick in eine rotierende Wäschetrommel. Einzige Gefahr ist, dass die Choreografie per se aufgrund absichtlicher Reduktion und partieller Entschleunigung ab und an inmitten des technischen Drumherums an autonomer Schlagkraft zu verlieren droht. Aber womöglich ist sogar das beabsichtigt in einem Werk, das – wie an einer Stelle in einer spiegelbildlich gedoppelten Szene ganz deutlich herausgearbeitet wird – auf Glitch, sprich die Kunst der Störung verweist.

Bei den Beats wird plötzlich auf die Tube gedrückt, und kurz vor Schluss ergießt sich ein zunächst zähflüssig mäandernder Strom aus Farben über die weiße Tanzfläche. Später – durch die zunehmend beschleunigende Fließgeschwindigkeit zu strengen Linien begradigt – rast dieser schier unter den Füßen der Tanzenden dahin und verwirbelt Formationen. Letztlich mutiert der famos inszenierte Farbrausch gleichsam zum Gipfel aller im Stück bewusst ausgesparten individuellen Emotionen. Via Fließband auf den Boden projizierte Wortverbindungen wie „Shock Future“ oder „Retro Fever“ treiben stattdessen die in Trios Halt suchenden Gestalten um.

Stets nachvollziehbar glaubhaft sieht das wie von einer Flut mitgerissene Herumpurzeln der Interpreten aus, obwohl Matteo Carvone, Sahra Huby, Amie Jammeh, Venetsiana Kalampaliki, Sotiria Koutsopetrou und Quindell Orton von Anfang bis Ende der Performance lediglich gegen fiktive Gewalten à la Wind und Wetter, Rauschen oder schwer erklimmbare Berge und Klippen ankämpfen. Oft sind sie zudem nicht wirklich sie selbst. Geliehene Stimmen und Masken sorgen für Verfremdung – auch mal verkehrt herum am Hinterkopf. 

Exitstrategien und das Hinterfragen des Hier und Jetzt stehen in der bayerischen Theaterlandschaft momentan hoch im Kurs. So will man am Theater Regensburg diese Saison die Begrifflichkeit von „Entfernungen“ ausloten. Das Mehrspartenhaus in Augsburg hat sich das vieldeutige Adjektiv „aberwitzig“ auf die Fahnen geschrieben. Und „Auf nach Woanders“ lautet das Spielzeitmotto der Münchner Kammerspiele – eines Hauses, mit dem Anna Konjetzky in der Vergangenheit für einige ihrer Produktionen kooperiert hat. Ihre nun in der Münchner Muffathalle vorgestellte Uraufführung „tomorrow...we...were“ ließe sich sogar mit dem diesjährigen Leitspruch des inklusiven und oft Genregrenzen überspringenden Kammerspiel-Ensembles umreißen: „Auf dass wir morgen erschaffen, was wir uns heute noch nicht vorstellen können!“

Reiner Zufall hingegen scheint, dass Konjetzky ihre Protagonist*innen zu Beginn mit jegliche Gesichtskonturen verändernden und vereinheitlichenden Gummimasken auftreten lässt. So konnte man dies auch wenige Tage zuvor – noch um vieles zombiehafter – in der Spielzeitpremiere „Mia san Mia. Eine bayerische Space Odyssey“ des Chilenen Marco Layera und Martín Valdés-Stauber in den Kammerspielen erleben. Bewegung als Ausdruck spielt dort gleichfalls eine nicht unerhebliche Rolle. Die Geschichte allerdings, die Konjetzkys in ihrer jüngsten choreografischen Arbeit erzählt, ist eine total andere: abstrahierend utopisch, jedoch keineswegs abschreckend. Ihr geht es um Veränderung(en) und das menschliche Zurechtkommen, wenn der Ruf nach der „guten alten Zeit“ entzaubert wird. 

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