Happy Birthday Gert
Gert Weigelt wird 80
Mit Skalpell-scharfem Blick seziert Gert Weigelt den menschlichen Körper. Er fokussiert aus immer neuer Perspektive und unterschiedlichsten Entfernungen bis hin zur lupenreinen Makroaufnahme auf Details, etwa einen verästelten Bauchnabel. Er durchleuchtet Rücken, so dass jeder Rippenbogen und jede Muskelfaser sichtbar wird. Er schneidet Torsi zu, modelliert Verschlingungen von Armen, Beinen, Köpfen, Leibern. Er konterkariert ein Metallgestänge oder ein Bretter-„Y“ mit exakt derselben Linienführung einer Tänzerin. Immer wieder bohrt sich die Spitze eines Stilettos haarscharf neben einen Körper oder visualisiert die brutale Schönheit eines Spitzenschuhs. Gert Weigelt zitiert in seiner fotografischen Kunst berühmte Gemälde der Renaissance ebenso wie Skulpturen der klassischen Moderne. Aus Haut, Knochen, Muskeln, Sehnen, Haaren (von Kopf bis Scham und Oberschenkel) abstrahiert er menschliche Körper als Kunstwerke – mal mit ästhetischem Feingefühl, mal schamlos – stets mit schier unerschöpflicher Fantasie.
„Inszenieren“ nennt der Doyen der europäischen Tanzfotografie seine fotografische Studioarbeit. Das Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Köln widmet dem Fotokünstler seine diesjährige Sonderausstellung. Weigelt titelt sie „Autopsie in schwarz/weiß“ in Anlehnung an die erste seiner sechs Video-Arbeiten („Arabesque – eine Autopsie. Reverenz an Hans van Manen“), die im hinteren Raum des Museums gezeigt werden. Da hat er sich als Choreograf ausprobiert. Aber dann doch das Metier eines Meisterfotografen vorgezogen. An die 100 Fotos bis 2007 in unterschiedlichsten Formaten von DIN A4 bis mannshoch hat Weigelt für die Schau ausgewählt. Die meisten sind Akte und Ausschnitte von nackter menschlicher Körperlichkeit. Porträts und Selbstdarstellungen bestätigen die oft geäußerte Nähe zum Werk Robert Mapplethorpes. Weigelt setzt sich mit koketter Bescheidenheit darüber hinweg mit seinem Konterfei in schwarzer Lederjacke mit Gänseblümchen im Mundwinkel anstelle Mapplethorpes lässiges Zigarette („Sorry – I‛m not R.M.“).
Man mag sich kaum vorstellen, was er seinen „Models“ – Tänzerinnen und Tänzern zumeist aus europäischen Ensembles vom Tanzforum Köln und NDT bis Pina Bausch und Martin Schläpfer – an Geduld entlocken musste und erst recht den, natürlich Freiwilligen, wohl auch Momente unbedingter Verleugnung von Verschämtheit oder dem Verlangen nach einem Quäntchen privater Intimsphäre. Der Ex-Tänzer zelebriert die ästhetische Schönheit und Dynamik des bewegten menschlichen Körpers. Ganz bewusst verfremdet er Posen mit tänzerisch-körpertechnisch ebenso kenntnisreicher Virtuosität wie überbordender erotischer und verspielter Lust. Das köstlichste Beispiel für diese – fast alberne – Verspieltheit zeigt Weigelt und seine Ehefrau Sighilt Pahl („Just Married“) im großformatigen Katalogheft: die doppelseitig bedruckten DIN A3-Blätter sind in der Mitte leicht gefaltet und mit einem Gummiband gehalten. So ergibt es sich automatisch, dass auf einer linken (leider unnummerierten) Seite Weigelt zu sehen ist, wie er – 1998, noch mit neckischem Haardutt im Nacken – im weiten Bogen Wasser speit. Hinten im Heft kommt auf der entsprechend gegenüberliegenden Blatthälfte der Strahl bei der Partnerin an.
Witzig wirkt auch „hairfall“ – die perfekt symmetrische Rückenansicht einer „Lorelei“, deren Mähne sich wie ein Wasserfall über ihren Rücken ergießt und als schmales Band eines Gebirgsbachs zwischen ihren Po-Backen endet. Oder „King Kong und die weiße Frau“: da hält der dunkelhäutige Tänzer eine schneeweiße Porzellanballerina waagerecht an den Oberschenkeln zwischen den Zähnen.
Mit Tanzfotografie haben Gert Weigelts fotografische Studio-Inszenierungen auf den ersten Blick nur andeutungsweise zu tun. Natürlich hält „ein Kreis, eine Linie“ die perfekt gegrätschten Beine einer Ballerina mit schwarzem Tutu aus genialer Perspektiver fest oder „Bea goes diagonal“ die schräge Streckung einer Tänzerin. Choreografische Szenen fängt Weigelt nur mit seinen Impressionen von „Body talk“ beim TanzForum Köln und bei NDT 1 ein – aus der Zeit, als er der eigenen Karriere als Tänzer noch sehr nah war in den 1970er Jahren und die fotografische Leidenschaft gerade erst durch ein Studium zum zweiten Beruf ausbilden ließ.
Aber was und wen auch immer er ablichtet: Gert Weigelts fotografisches Werk strahlt jenseits der oft schamlos schrillen erotischen Ekstase, die im Bühnentanz gemeinhin mit größter Vorsicht thematisiert wird, eine berührende philosophische Theatralität aus. So verweist (nicht nur) das „Porträt“ von Tony Rizzi – ein Muskelprotz mit starkem Haarwuchs bis auf die Oberschenkel, in Spitzenschuhen – auf die Nähe vieler Tänzer zu ihrer androgynen Aura und Persönlichkeit. Die Verklammerung von Kunst- und Bühnenfotografie visualisiert auch „Gerhard Bohner (Neonröhre)“. In solchen Aufnahmen zeigt sich Weigelts Credo nach dem französischen Philosophen Roland Barthes, demzufolge die Fotografie „sich nicht über die Malerei mit der Kunst, sondern über das Theater“ berühre. Dem entsprechen auch das Selbstporträt mit geschlossenen Augen in der Umarmung mit Ehefrau Sighilt (von hinten, mit sorgfältig geflochtenem Zopfkranz) und seine Totenmasken, die wie von Pina Bausch inspiriert wirken. Das letzte Katalog-Blatt (von 1995) zeigt Weigelt mit geschlossenen Augen. Der schwarze Schleier über seinem Gesicht ist mit fünf Strapsen gerafft. Der Titel: „Totenmaske (voreilig)“.
Die Ausstellung „Gert Weigelt – Autopsie in schwarz/weiss“ ist bis zum 27. Januar 2019 täglich außer mittwochs von 14-19 Uhr zu sehen im Museum des Deutschen Tanzarchivs Köln, Im Mediapark 7, 50670 Köln. Katalog mit 20 Fragen an Gert Weigelt von Museumsleiter und Ausstellungskurator Thomas Thorausch erhältlich.
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