„Hollow Bones“ von Jacopo Godani; David Leonidas Thiel & Zoe Lenzi Allaria

„Hollow Bones“ von Jacopo Godani; David Leonidas Thiel & Zoe Lenzi Allaria

Peace will come

Marco Goeckes „Good Old Moone“ und Jacopo Godanis „Hollow Bones“ bei der Dresden Frankfurt Dance Company

Die Kamera als Partner nutzend fächern Marco Goecke und Jacopo Godani die ganze Kunst des Tanzens auf und kreieren zwei Uraufführungen, die auch im Stream nichts an Kraft einbüßen.

Dresden/Frankfurt, 30/04/2021

Kalt, düster, hart. So beginnt Marco Goeckes neue Arbeit „Good Old Moone“, getragen vom Sprechgesang Patti Smiths. Und da kein Text über die Arbeiten Goeckes ohne das Wort ‚fiebrig‛ geschrieben werden kann, lässt sich das gleich zu Anfang ablegen. Ja, es sind auch hier die gewohnt präzisen, messerscharfen Bewegungen, die teilweise in unglaublicher Geschwindigkeit ausgeführt werden. Für ein solches Vokabular braucht es die richtigen Tänzer*innen. Und die hat Jacopo Godani in seiner Kompanie in den letzten Jahren erfolgreich entwickelt. So gesehen passt Goeckes choreografischer Ansatz hervorragend für das Ensemble der Dresden Frankfurt Dance Company. Gleichzeitig ist Godanis Schritt, eine andere als seine eigene Handschrift für seine Tänzerinnen und Tänzer zuzulassen, sich zu öffnen, nicht nur ein mutiger, sondern ein künstlerisch wertvoller, können doch schlussendlich nur so Austausch und Weiterentwicklung tänzerischer Fähigkeiten entstehen.

Goecke beschränkt sich in „Good Old Moone“ weitestgehend auf Soli und Duos, was die Kamera äußerst dankbar aufnimmt. Im Ergebnis steht mit dieser ‚kleinen Form‛ jedes choreografische Detail im Vordergrund, was das große Ganze einfach zulässt. Die Dinge finden bei Goecke ohnehin immer intuitiv zueinander. Die Tänzer*innen sind immer wieder allein, wirken aber zu keinem Zeitpunkt einsam in diesem schlichten Raum voller Nebel, in dem klares, farbloses Licht hauptsächlich von oben kommt, die Gesichter der Tänzer*innen in Schatten legt und die freien Oberkörper der Tänzer in ihrer Anatomie teils befremdlich wirken lässt. Die Kostüme sind zurückgenommen, Geschlechter spielen keine Rolle.

Was die Kamera einfängt, sind faszinierende Studien höchster Konzentration, eine mesmerisierende Abfolge artifizieller Bewegungen, die bei Goecke niemals bloßer Effekt sind. Goecke blendet nicht, er beeindruckt. Das ist besonders intensiv mit einem Solo für Anne Jung gelungen. Ihre fragile Stärke ist gleichzeitig starke Fragilität. Ihre spastisch fremdartige Art der Mitteilung erscheint merkwürdig vertraut. Das ist Goecke at his best. Und Anne Jung at her best. Die Vermittlung des Ausdrucks gelingt dabei derart rauschhaft unmittelbar, dass man als Zuschauer*in völlig vergisst, dass man eigentlich zuhause auf der Couch sitzt.

Bei aller Virtuosität schafft es Goecke, Patti Smiths Sprechgesang nicht einfach zu illustrieren, zu ‚vertanzen‛. Er stellt seine Aussage gleichwertig neben die von Smith, ganz so, als wäre es ein Dialog. Und dieser scheint von tiefer Wertschätzung geprägt. Goecke imitiert nicht Smiths Rhythmus. Er findet seinen eigenen. Es gibt, so sagt man, Menschen, die könnten aus dem Telefonbuch vorlesen, man hänge an ihren Lippen. Goecke tut das für den Tanz.

Wo Goecke mit seiner Arbeit im Abstrakten bleibt, dringt Jacopo Godani mit seiner Uraufführung „Hollow Bones“ weitaus deutlicher in konkrete Bilder vor, ohne dabei aber tatsächlich konkret zu werden. Es ist eine Art Versuchsanordnung, die sich in ihrer Gesamtheit stark vom Tanz weg hin in Richtung Performance bewegt und die Anmutung einer Erzählung hat, die allerdings bis zum Schluss enigmatisch bleibt. Godani schafft einen deutlich umrissenen Raum, der nicht wie gewohnt auf die Guckkasten-Perspektive ausgerichtet ist, sondern mit den Mitteln der Kamera multiperspektivisch aufgebaut ist.

Erschließen lässt sich diese Arbeit am ehesten über Godanis anhaltendes Leitmotiv: das Animalische, das Tier als Teil des Menschen, das Vormenschliche. Hier sitzt ein leibhaftiger Schäferhund vor einem vertikalen Screen, auf dem ein Gorilla zu sehen ist. Fast könnte man hierin bloße Illustration sehen und sich vom Rest des Geschehens ablenken lassen, den ins Mikrofon geflüsterten Texten, den Tänzer*innen in Zottelkostümen (Forsythes „Enemy in the Figure“ lässt grüßen!), den vielen schwarzen Hockern. Schaut man aber genau hin, wird schnell deutlich, dass es sich um Videoaufnahmen des Gorillas Koko handelt, einem Weibchen, dem nachgesagt wurde, mehr als 1000 Zeichen der Gebärdensprache zu verstehen. Das ist ein grotesker weil zum Scheitern verurteilter Dialog zwischen Affe und Hund unter Einsatz menschlicher Werkzeuge.

Welche Sprache, also, ist es, die Godani hier spricht? Es scheint eine Sprache zu sein, die vermittelt werden soll und wohl kann. Wiederholt finden sich Szenen, die Lehrstunden mit Lehrer*innen und Schüler*innen zu zeigen scheinen. Alles ist etwas schräg, die Tänzerinnen zwitschern wie Vögel ins Mikrofon. Und dann gibt es ein Gewitter mit einem unmissverständlich dazu auf dem Screen eingeblendeten Symbol aus dem Wetterbericht.

Godani experimentiert gern. Dabei erscheint besonders hier die Frage, inwieweit er, der als ehemaliger Solist für William Forsythe von dessen Arbeiten zweifelsfrei geprägt ist, mit dieser Arbeit Reverenzen an seinen ‚Lehrer‛ abliefert. Alles erinnert ein bisschen an den schrägen Jahrmarkt in „Potemkins Unterschrift“, dem ersten Akt von Forsythes „Impressing the Czar“; teilweise scheinen aus den Lautsprechern Sounds zu schrubben, die Thom Willems so legendär gemacht hat und die Forsythes Handschrift lange Jahre begleitet haben. Auch hier finden sich deutlich voneinander getrennte Akte, die teilweise unvermittelt durch das Senken des Vorhangs begrenzt werden. Forsythe hatte das praktisch erfunden.

Trotzdem bleibt Godani bei sich, dem Thema Tier und Mensch und dessen Schnittmenge. Auf dem Screen wird das Gesicht des Gorillas mit dem eines Mannes überblendet; die Grenzen verschwimmen, bis das Gesicht des Mannes blutrot ist und die Form eines anatomisch korrekten menschlichen Herzens annimmt. Auch das kein neues Bild bei Godani. Und dieses Herz, dieser Mensch, ist irgendwann auch ‚falsch‛, wenn die Tänzer*innen nach erneutem Kostümwechsel Kleider tragen, die nur am Körper befestigt, also nicht korrekt angelegt sind. Fremd in der eigenen Haut?

Sowohl Goeckes als auch Godanis Arbeit endet in einem friedvollen Bild. Hier eine innige, endlose Umarmung, dort ein Kuss, der das Leben zu besiegeln scheint. Und Patti Smith singt „Peace will come“. Recht soll sie bekommen.

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