Schülerinnen der Tanzschule Skoronel in Berlin (Tanzgruppe Skoronel-Trümpy), Fotografie, um 1930
Schülerinnen der Tanzschule Skoronel in Berlin (Tanzgruppe Skoronel-Trümpy), Fotografie, um 1930

„Ich glaube an das neue Leben!“

Zur Ausstellung „Der absolute Tanz. Tänzerinnen der Weimarer Republik“ im Georg Kolbe Museum

Vom 25.04.-17.10.2021 macht das Georg Kolbe Museum einen Brückenschlag zwischen Tanz und Bildender Kunst und fängt das Lebens- und Tanzgefühl des Aufbruchsjahrzents der 1920er gekonnt ein.

Berlin, 30/04/2021

In einem der schönsten kleinen Museen Berlins, im Georg Kolbe Museum, einst Atelierhaus des Bildhauers, wird nicht zum ersten Mal die Verbindung zwischen Bildhauerei und Tanz thematisiert. Bereits 2003 zeigte die Ausstellung „Georg Kolbe und der Tanz“, dass dieser tanzbegeisterte Bildhauer das Unmögliche versucht hatte, Bewegung in seinen Skulpturen ‚festzuhalten‛. 2012 machte die Ausstellung „TanzPlastik – Die tänzerische Bewegung in der Skulptur der Moderne“ auf diese in der Weimarer Republik so fruchtbare Beziehung aufmerksam. Die Herren Künstler, einschließlich Kolbe, schlugen sich gerne die Nächte in Cabarets, Kinos, Sälen, Theatern um die Ohren, ließen sich von der aufwühlenden Erotik, den exotischen Kostümen und Gesten verführen und von diesem neuen Ausdruck, dem ungewohnten Rhythmus für ihre eigene künstlerische Arbeit inspirieren. „Ausdruck und Rhythmus“ waren zwei zentrale Begriffe für den neuen, modernen Tanz, für den Ausdruckstanz in der Weimarer Republik. Und Berlin war die erste Adresse für die verrücktesten Experimente.

Eine neue Generation von Frauen zelebrierte ohne Rücksicht auf Konventionen ihre bewegten Körper: erotisch-verrucht wie Anita Berber; athletisch-elegant wie Claire Bauroff; exotisch wie Tatjana Barbakoff; abstrakt wie Vera Skoronel; politisch wie Jo Mihaly, maskenhaft-gestisch wie Hertha Feist; grotesk wie Valeska Gert, sakral wie Charlotte Bara, als Gesamtkunstwerk wie Oda Schottmüller; als Schönheits-Tänzerin wie Celly de Rheydt. Oder Berthe Trümpy, Assistentin von Mary Wigman, Partnerin von Vera Skoronel, Bauherrin, die sich ihre eigene Schule in Berlin bauen ließ, ein Juwel im Stil der Neuen Sachlichkeit. Sie scheuten sich nicht, in den gewagtesten Kostümen – mit viel oder ganz wenig Stoff – aufzutreten, nackt vor der Fotokamera ihre „Figuren“ darzustellen, Bewegungschöre in der Volksbühne zu leiten oder zur Eröffnung des Funkturms im Stahlfachwerk zu „tanzen“. Von diesen elf handelt die neue Ausstellung im Georg Kolbe Museum „Der absolute Tanz“. Der Titel stammt von Mary Wigman und verweist auf ihre zentrale Stellung im Ausdruckstanz und stellt klar, dass es um mehr als Gesten, Sprünge, wallende Kleider, nackte Haut, exotische Kostüme geht. „Mit expressiven Bewegungen, extravaganten Erscheinungsbildern und expliziten Vorstellungen von der eigenen Rolle in der Welt sprengte eine Generation junger Tänzerinnen im Berlin der 1920er-Jahre die Konventionen ihrer Zeit,“ heißt es im Faltblatt zur Ausstellung.

Der Tanz als Emanzipationsbewegung, die nicht nur die Bühnen, klein und groß, eroberte, die Ateliers und Studios, sondern eine ganze Generation von jungen Frauen mit sich riss, die in den Schulen ein neues Körpergefühl, ihr eigenes, selbstbestimmtes Bewegungs-Ich kennenlernen und entfalten durften. „Die Tänzerinnen-Flut schwillt in Berlin noch immer weiter an. Allnächtlich gibt es Tanz- Vorführungen in den großen Konzertsälen, bei denen Novizen die Gunst des Publikums und der Kritiker einzufangen suchen“, war in der „Berliner Illustrierten Zeitung“ am 28. November 1920 zu lesen war. Die Kuratorin Brygida Ochaim und die Museumsdirektorin Julia Wallner stellen die elf so unterschiedlichen Tänzerinnen/Tanzpädagoginnen/Choreografinnen mit einer kurzen Biografie vor und machen ihre Tanz-Kunst in Fotografien, Plakaten, Aquarellen, Zeichnungen, Bildern, Filmen anschaulich. Dazu kommen die Skulpturen, die auch sehr unterschiedliche Handschriften tragen, und belegen, dass man sich kannte, schätzte und alle ein Ziel verfolgten: den Aufbruch künstlerisch zu gestalten. Besonders die Fotografinnen und Fotografen, die von den schönen jungen Frauenkörpern magisch angezogen wurden und gemeinsam mit ihnen die ausdrucksstarken Inszenierungen in schwarz/weiß in Szene setzten. Oder sie als Konterfei für die moderne Frau mit Bubikopf gerne vor die Kamera holten.

„Eine Ausstellung zum Tanz um die Jahrhundertwende und der Weimarer Republik wäre nicht möglich ohne die Fotografie,“ schreibt Gabriele Brandstetter in ihrem Katalogaufsatz. Die Künstlerin Ulla von Brandenburg schlägt den Bogen in die Gegenwart mit einer Performance, einem Film und sie hat die farbigen Ausstellungswände geschaffen, auf denen und vor denen die Ausstellungsstücke kraftvoll zur Geltung kommen. Das Georg Kolbe Museum unternimmt erneut den Versuch, den Tanz endlich zu seinem Recht in der (Kunst-)Geschichte kommen zu lassen, ihn als treibende Kraft beim Aufbruch in eine neue Zeit zu zeigen: „Die alte Welt ist morsch, sie knackt in allen Fugen. Ich will helfen, sie kaputtzumachen. Ich glaube an das neue Leben!“ (Valeska Gert)

Anmerkung der Redaktion: Ein Beitrag von Frank-Manuel Peter zur wissenschaftlichen Korrektur des Beitrags von Wolfgang Müller zu Valeska Gert in der Publikation zur Ausstellung „Der absolute Tanz! Tänzerinnen der Weimarer Republik“ findet sich hier auf der Seite des Kölner Tanzarchivs.

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