„Isadora Duncan“
Ballettabend im Volkstheater Rostock
Die leidenschaftliche Beziehung zwischen der weltberühmten Tänzerin und dem dandyhaften Dichter
„Er sieht nichts, hört nichts, vergleicht auch nicht, reist wie einer ohne Sinne und Gespür für Menschen, Landschaft, Kunst.“ Die Europa- und USA-Reise, zu der Isadora Duncan mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Sergej Jessenin im Mai 1922 abgereist war, erwies sich als absoluter Fehlschlag. Berlin, Paris, Venedig, die USA (wo der gebürtigen Amerikanerin zunächst die Einreise verweigert wurde, weil sie bei der Heirat mit Jessenin die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen hatte) – Isadora hetzte von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, von Auftritt zu Auftritt, und alles gefiel Sergej nicht. Aufgebrochen, um gemeinsam die Welt zu erobern und dem wesentlich jüngeren russischen Lyriker zu Weltruhm zu verhelfen, kehrte das Paar im August 1923 nach Moskau zurück. Er schwerst alkoholkrank und extrem misstrauisch, sie deprimiert und enttäuscht: „Hier bringe ich dieses Kind in sein Vaterland zurück, aber ich habe nichts mehr mit ihm zu tun“, vermerkte bitter die 44jährige Tänzerin.
Trotzdem schleppte sich die Ehe noch kurze Zeit dahin. Sergej versprach Isadora, ihr auf eine Kaukasus-Tournee zu folgen. Doch sie, unterwegs, um Geld für ihre in Moskau eingerichtete Schule zu verdienen, wartete vergeblich. Er kabelte, er liebe eine andere. Aber dann kam es wieder zur Versöhnung, bis Jessenin das gemeinsame Dinner mit Freunden im Eklat enden ließ. Beruflich und privat war die Bilanz von Isadora Duncans dreijährigem Aufenthalt in der Sowjetunion und ihre Ehe mit dem 17 Jahre jüngeren Mann vernichtend.
In der neuen Reihe „Paare“ des Rowohlt Berlin Verlags hat Carola Stern diese amour fou in Szene gesetzt. Akt für Akt entrollt sie das Drama einer Beziehung, die scheiterte an unüberwindbaren Charaktergegensätzen und an unerfüllbaren Ansprüchen an den Partner, an der Emanzipation der Frau (die gleichwohl – wie Carola Stern kolportiert – die „Unterwerfung“ unter einen „richtigen“ Mann genoss) und der Misogynie des Mannes. Die Tänzerin sah keine Veranlassung, in ihrer Kunst zugunsten Jessenins zurückzustehen, und genoss ihre Popularität und den Ruhm, der ihr überall entgegengebracht wurde. Der Dichter, in seiner Heimat als „neuer Puschkin“ gefeiert, kam mit seiner Rolle als „Prinzgemahl einer exzentrischen Prinzessin“ nicht zurecht. Die Fassade des glücklichen Paares, die schöne Tänzerin, die sich die Befreiung des Tanzes und des Körpers gewidmet hat und bei ihren Auftritten die rote Fahne schwang, und der dandyhafte Dichter, der von der russischen Steppe und den Birkenwäldern schrieb, bröckelte zusehends. Die Selbstinszenierung, an der sie beide viel Spaß hatten, funktionierte nicht mehr. Immer häufiger fiel Jessenin aus der Rolle, betrank sich und randalierte. Die Duncan bezahlte, borgte sich das Geld, nahm ihren Mann in Schutz, um ihn anschließend mit Eifersuchtsszenen und emotionalen Besitzansprüchen wieder unter Druck zu setzen.
Carola Sterns Sätze hetzen von Ausrufezeichen zu Ausrufezeichen. Sprachlich manchmal etwas atemlos („der Bürgermeister, dieser Stiesel“), geht ihr doch nie die Puste aus. Behände und in emphatischen Worten, mit einer Fülle rhetorischer Fragen und vielen eingeschobenen Zitaten, deren Quellen im kurzen Literaturhinweis nur pauschal angegeben werden, folgt sie dieser leidenschaftlichen Beziehung, die im Oktober 1921 bei einem Künstlerfest ihren Anfang nahm.
Außerordentlich atmosphärisch und informativ hält Carola Stern das Moskau in den Jahren nach der Oktoberrevolution in Worten fest, wo sich Isadora seit Juli 1921 aufhielt, um – wie sie sagte – „für die Massen zu tanzen“ und hier, an der Hochburg des Balletts, ihrem freien Tanz zum Durchbruch zu verhelfen, ihn den freien Menschen zu lehren. Über Duncans Tanz schreibt Carola Stern nur das Nötigste, Allgemeinplätze; wesentlich mehr ist sie an der Problematik der alternden Tänzerin interessiert, die sie einfühlsam, aber schonungslos beschreibt. Entstanden ist ein eindrucksvolles Psychogramm der beiden Protagonisten: Duncan und Jessenin sind in ihren menschlichen und künstlerischen Facetten farbig gezeichnet, als funkelnde Solitäre, die miteinander nicht leben konnten. Beide sind sie in ihrem je eigenen Kulturkreis zu Kultfiguren geworden: Die amerikanische Tänzerin, deren Schal sich im Rad eines Sportwagens verfing und sie so strangulierte, und der russische Lyriker, der sich – physisch und psychisch am Ende – im Dezember 1925 erhängte.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments