Mit der Natur in Dialog treten
Johannes Odenthal im Gespräch über Koffi Kôkô und den Vodun
Wenn Ismael Ivo im Stuttgarter Theaterhaus mit einem neuen Stück auftritt, dann versammelt sich dort, jedenfalls bei der Premiere, „tout Stuttgart“. Man weiß, was einen erwartet, und der brasilianische Tänzer und Choreograf enttäuscht nie. Das muss nicht unbedingt erfreulich sein, denn Ivo inszeniert vor allem, und immer wieder in der gleichen Art, seinen Körper. Wenn ihm dabei ein Regisseur oder wenigstens ein starker Partner mildernd zur Seite steht, wie in letzter Zeit etwa Marcia Haydée in beider Erfolgsstück „Tristan und Isolde“, dann kommt dabei möglicherweise etwas Neues heraus. In der jüngsten Theaterhaus-Produktion „Die Zofen“ nach Jean Genet waren der Regisseur Yoshi Oida und Ivos Tanzpartner Koffi Koko aber offenbar nicht stark genug, ihn gebührend im Zaume zu halten.
Genets Stück handelt von zwei Schwestern, die Zofen bei „Madame“ sind und ihre daraus und aus ihrer inzestuösen Beziehung resultierenden menschlichen und sexuellen Frustrationen mit extremen Rollenspielen von wechselnder Unterwerfung und Demütigung zu kompensieren suchen. Das Tanzstück beginnt nach dem Ende des Schauspiels, wenn Claire (Koko), weil die Denunziation von Madames Gatten offenbar wird, ins Gefängnis eingeliefert wird, nachdem Solange (Ivo) bereits den vergifteten Tee getrunken hat, der eigentlich Madame zugedacht war. Es spielt also in Claires Erinnerung, die ihre Schwester in die Nachbarzelle projiziert. Jean Genet hatte in der Tat ursprünglich die Idee, sein Schauspiel von Männern aufführen zu lassen, ist jedoch später wieder von ihr abgerückt.
In Stuttgart funktioniert das ganz gut, bis Ivo bald seine Jacke auszieht und sich wieder als „the body“ zur Schau stellt, wie von Sinnen ruckt und zuckt, wie ein Walross schnauft, mit seinen tellergroßen Augen rollt, die noch immer bemerkenswert plastischen Muskeln spielen lässt und Ströme von Schweiß vergießt. Koko, er stammt aus dem Benin und ist einer der kultiviertesten und versiertesten Tänzer und Tanzwissenschaftler Afrikas, bietet diesem Wüten auf beeindruckende Weise die Stirn. Sein Tanz ist gleitend, subtil und fein vibrierend, sehr nuanciert und im Einklang mit der maliziösen Glut seines Minenspiels. Das ist einer der Vorzüge dieser Inszenierung, dass sie beiden Künstlern ihr individuelles Profil lässt. Wo Genet mit Worten die Gefühle des Publikums ins Taumeln bringt, setzt hier der Tanz seine rüdesten Mittel ein. Wenn sich die beiden ekstatisch umarmen, sich den Schweiß von den triefenden Leibern küssen, ihn vom Boden lecken und auch sonst allerlei Befremdliches tun, dann entsteht nicht gerade der Eindruck intellektueller Ebenbürtigkeit mit dem Dichter.
Oidas Regie gelingt es nicht, trotz oder vielleicht sogar wegen aller Reduktion der Handlung, klar zu machen, was die eigentlichen Beweggründe seiner Personen sind. Er konstatiert, und wir sehen nur ihre Folgen. Und manche Hinzufügung wirkt ausgesprochen gewollt provozierend, ohne dass sie mit dem ursprünglichen Stück zu tun hätte. Etwa wenn der mit einem fulminanten akrobatischen Auftritt als Madame brillierende Ziya Azazi als Gefängniswärter Claire eine Pistole in den Mund steckt und dabei onaniert. Der von Joao de Bruco erdachte und am Keyboard, sowie mit eigens entwickelten, hoch über die Bühne gehängten Klangobjekten, live gespielte Sound macht mit seiner einfallsreichen Rhythmik den gut einstündigen Abend akustisch zu einem Gewinn. Diese „Zofen“ sind leider gescheitert, bieten den Ivo-Fans aber genau jenes Augenfutter, nach dem sie hungern.
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