Eine schöne Stunde ohne Nachgeschmack

Keersmaekers „Rain“ im Ludwigsburger Forum-Theater

Ludwigsburg, 03/11/2002

Jetzt endlich ist also auch Anne Teresa de Keersmaeker in der schönen, behaglichen Welt angekommen. Derart gefällig und konsumfreundlich wie in ihrem Stück „Rain“ („Regen“) aus dem vergangenen Jahr hat sich die belgische Choreografin, eine der angehimmelten Urmütter des zeitgenössischen Tanzes, wohl noch nie zuvor gegeben. Jedenfalls konnten sich die Zuschauer beim Gastspiel ihrer Compagnie Rosas im Ludwigsburger Forum-Theater gut eine Stunde lang in Keersmaekers pastellfarbene Meditationen über das Atmen als solches kuscheln und sich von Steve Reichs minimalistischer, dynamisch tröpfelnder Music for 18 Musicians einlullen lassen.

Als Symbol für den Regen hat Jan Versweyveld einen bis zur Rampe reichenden Rundhorizont aus grauen Schnüren geschaffen, den er mit bonbonbuntem Licht wechselnder Helligkeit ausleuchtet. In ihm tummeln sich sieben barfuß tanzende Damen und drei Herren, für die Dries van Noten leichte Sommerkleidung geschneidert hat. In der Tat scheint die Choreografie zu atmen. Sie strebt auseinander, löst sich in kleine und größere Gruppen auf, zuweilen entstehen regelrechte Körperknäuels, aus denen Tänzer emporstreben, Linien werden gebildet, dann wieder steht ein einzelner Mensch im Mittelpunkt, von seinen Kollegen, die sich wie während einer Probe an den Rand verkrümeln, interessiert betrachtet, bis die Gruppe zur Ruhe kommt und, wie beim Ein- und Ausatmen, einen weiteren Bewegungszyklus beginnt.

Keersmaeker bedient sich weitgehend kleiner Hüpfer und Sprünge, vorwiegend schräg über das Standbein gedreht, sie lässt ihre Tänzer wirbeln und mit schnellem Lauf den Horizont umrunden, selten scheinen kurze Beziehungen zwischen ihnen zu entstehen, die sich aber sofort wieder auflösen. Das alles wirkt zuweilen wie mit halber Kraft exekutiert, als genüge die Energie der rastlosen Musik nicht als Kraftquell. Die dem Tanz innewohnende Ordnung zerfasert zu schnell, um wirklich erkennbar zu werden. Und das ist wohl auch der wichtigste Grund dafür, dass dieser choreografische Schnürlregen recht bald eintönig zu werden beginnt. Sein gleichförmig wuselndes, nur sanft an- und abschwellendes, optisches Rauschen lullt ein, lässt das Interesse an ihm erlahmen - man schaut ihm zu, ist angenehm berührt und weiß nicht so recht etwas damit anzufangen.

Dabei verändert sich „Rain“ fortwährend, wird schneller und langsamer, breiter und schmaler, heftiger und sanfter. Nur rufen diese Wandel keine erkennbare Entwicklung hervor. Als beobachte man einen ruhig atmenden Brustkorb, was auf die Dauer so unterhaltsam nicht ist. Obwohl die Choreografin ihre Beziehung zur Musik ihre wichtigste Inspirationsquelle nennt, scheint sie in diesem Stück über weite Strecken nur als akustische Dekoration zu dienen. Fast könnte man meinen, Keersmaeker wolle hier an Merce Cunningham erinnern, dem die Musik in vielen seiner Arbeiten nur ein beinahe entbehrliches, gleichsam alltägliches Geräusch ist, wie etwa der Lärm einer Straßenbahn im täglichen Leben.

Hoffentlich markiert dieser „Rain“ nicht den Weg, auf dem Anne Teresa de Keersmaeker und Rosas künftig weitertanzen wollen, nett anzusehen, beschwingt und einigermaßen gut gelaunt, dem Publikum auf hohem technischen eine schöne Stunde ohne Nachgeschmack bereitend.

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