Tabula rasa in der Fächerstadt

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Karlsruhe, 05/11/2002

Nun haben sich die schlimmsten Befürchtungen doch bestätigt: Achim Thorwald, Intendant des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, und Birgit Keil, designierte Ballettchefin des Staatstheaters, haben allen Mitgliedern des Karlsruher Balletts zum Ende der laufenden Spielzeit die Nichtverlängerung ihrer Verträge mitgeteilt – allen bis auf eine oder einen, denn bei dem krausen Deutsch der anonymen Presseverlautbarung weiß man nicht, handelt es sich dabei um eine Frau oder einen Mann, geschweige denn dass man erfährt, wer denn die oder der eine ist (etwa Benito Marcelino?).

Da wird sich Keil aber gewaltig anstrengen müssen, uns von der nächsten Spielzeit an mit gut zwei Dutzend besseren Tänzern als gehabt in Karlsruhe zu beglücken. Nicht etwa, dass ich von allen Tänzern oder von allen Produktionen von Pierre Wyss gleich begeistert gewesen wäre. An seine „Zirkus Fellini“-Premiere erinnere ich mich jedoch mit ausgesprochenem Vergnügen und die – nicht von ihm choreografierte – Produktion von Bachs „Johannes-Passion“ gehörte sicher zu den besten Novitäten der deutschen Ballettspielzeit 2001/02 – auch wenn sie nicht entfernt die Publizität hatte, die sie verdient hätte.

Darum habe ich meine Zweifel, ob denn dieser rigorose Schnitt nötig war – einmal ganz abgesehen von den sozialen Folgen für die betroffenen Tänzer. Ausgesprochen schäbig fände ich es indessen, diese Misere jetzt allein Pierre Wyss anzulasten. Deren Wurzeln reichen bis in die allzu lange tolerierte, schließlich in totale Sterilität mündende Ballettdirektion von Germinal Casado zurück, gefolgt von dem Fehlengagement von Olaf Schmidt durch den Könemann-Nachfolgerintendanten Pawel Fieber (das mir bereits schwante als ich eine einzige Ballettproduktion von Schmidt in Kaiserslautern gesehen und den neuen Intendanten auch entsprechend informiert habe).

Traurig, traurig – aber wohl nicht mehr zu ändern! Und ein Menetekel, was Tänzer von ihren Intendanten zu erwarten haben und wie wenig sie mit der Solidarität ihrer Kollegen und des Publikums rechnen können. Nicht gerade ein Ruhmesdatum dieser Oktober und November 2002 für das deutsche Ballett – nicht nur in Karlsruhe!

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