Andris Plucis choreografiert „Sacre du printemps“ und „Verklärte Nacht“

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Ulm, 08/02/2003

Neunzig Jahre nach seiner skandalumwitterten Pariser Premiere hat Strawinskys „Sacre du printemps“ nun auch das Ballett des Ulmer Theaters erreicht – von Andris Plucis für seine zehn Tänzer nicht als „Bilder aus dem heidnischen Russland“ choreografiert, sondern als jener archaische Urmord, der, von Kain und Abel ausgehend, immer neuen Mord und Totschlag zeugt. Nach der Pause folgt dann Schönbergs „Verklärte Nacht“ als utopische Idylle – auch dies ohne jeden Bezug auf Dehmels Gedicht. Beide live musiziert vom Ulmer Philharmonischen Orchester – und ist auch allein das heute eher die Ausnahme, so steht am Dirigentenpult der Musikchef des Hauses höchst persönlich, James Allen Gähres – Lothar Zagrosek in Stuttgart, Ingo Metzmacher in Hamburg und Christian Thielemann in Berlin, please listen!

Dabei macht es Plucis weder sich selbst noch seinen Tänzern und schon gar nicht dem Publikum leicht, zitiert Nietzsche und Freud und stürzt die Maske, die rätselhaft lächelnd über der finsteren Szene des „Sacre“ schwebt (Der Unbekannte von der Donau?) in Schönbergs sonnenlichtdurchfluteter „Nacht“ kopfüber in den von rötlichem Ziegelsplitt übersäten Paradiesgarten (Bühne: Beatrix Sassen), in dem ein Gärtner unbeirrbar mit seinem Rechen seine Runden dreht. In diesem „Sacre“ steht das Opfer/der Mord am Anfang – und am Ende schlägt der Mörder sich selbst ans Kreuz. Ein Greuel gebiert den anderen, ein kannibalistischer Akt den nächsten, und am Ende hat man den Eindruck, dass das Ballett direkt in Shakespeares „Titus Andronicus“ überleiten könnte. Plucis hat dieses Ritual erstaunlich musikhörig in einem harten modernen Brutalostil choreografiert (an Russland erinnern allenfalls noch ein paar Prisiadka-Schritte) – mit der Axt als Leitrequisit. Kain als eine Art Ur-Terminator. Leichen pflastern seinen Weg bis in unsere Gegenwart.

Darum misstraut man ihm auch, wenn er dann nach der Pause den Paradiesgärtner mimt – sozusagen als „Finto giardiniero“. Und ist doch erleichtert, die Ulmer Tänzer, nunmehr schön neoklassizistisch gesoftet, ihre Jeux d‘amour zelebrieren zu sehen, ganz hingegeben den sanften Kurvaturen des Schönbergschen Melodienstroms. So rundet sich der neue Ulmer Ballettabend zu einem durchaus eigenwilligen choreografischen Statement über zwei Klassiker vom Anfang des vorigen Jahrhunderts, dem Gähres mit seinen Ulmer Philharmonikern die solide Basis schafft, auf der sie ihre tänzerische Potenz und Vielseitigkeit demonstrieren können.

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