Doppelabend „La Valse/ Le Sacre de Printemps“ mit dem Staatsballett Thüringen: „La Valse“ von Stephan Thoss

Autowrack mit Wasseropfer

Doppelabend „La Valse“ von Stephan Thoss und „Le Sacre de Printemps“ von Edward Clug am Theater Altenburg-Gera

Zwei Stücke mit Geisterbeschwörungen finden in Gera auf die Bühne - allerdings in der faschen Reihenfolge.

Gera, 06/05/2024

Wasser schüttet aus dem Bühnenhimmel auf Yeojin Kim, die mit gelösten Zöpfen inmitten des sie im Halbkreis umstellenden Ensembles steht. Alle sind weiß bemalt, geisterhafte Ritualkörper, die Damen mit roten Bäckchen als Reminiszenz an das Ur-Sacre von Waslaw Nijinsky aus dem Jahr 1913. Edward Clugs „Le Sacre de Printemps von 2012 – zuletzt auch in Münster zu sehen – mit der Musik von Igor Strawinsky setzt auf schiere Wassermassen und das hat natürlich Folgen. Die anfangs dominierenden geometrisch abgezirkelten Bewegungsmuster werden fluider, die Dynamik größer und zugleich werden die eigentlich durch die weiße Farbe ritualisierten Körper kreatürlicher, ja wilder und primitiver, da das Weiß sich angesichts der Wassermassen nicht halten kann. Der Mensch tritt aus dem strengen Ritualkörper heraus. Zwar gibt es auch hier noch die klaren Reihen, die durchgedrückten Rücken und die angedeutete Spitze doch alles wirkt natürlicher und nahbarer.

Auch der gleitende Boden lädt geradezu dazu ein, tanzend darauf herumzuwirbeln. Da nehmen die Tänzer die Tänzerinnen und wirbeln sie im Sitzen und mit viel Spritzwasser herum und schießen sie gar wie Bowlingkugeln über die Bühne hin zum nächsten Kumpanen. Die Tänzerinnen haben so einen noch stärkeren Objektstatus als ihnen die Inszenierung ohnehin zuweist und die hier in Gera reichlich unhinterfragt auf die Bühne kommt. Auch das vollendete Opfer von Yeojin Kim endet damit, dass der Körper zwischen den Überlebenden nach hinten quer durch den Raum in den Bühnenhintergrund geschossen wird.

Geisterstunde mit Autowrack: „La Valse“

Eine Art Gegenentwurf liefert Stephan Thoss mit seiner neuen Interpretation von „La Valse“, das den Doppelabend in Gera eröffnete. „La Valse“ von Marice Ravel entstand zwischen 1906 und 1920 als „Poème chorégraphique pour Orchestre“ und wird hier vom Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera zusammen mit „Pavane pour une infante défunte“ präsentiert und komplettiert durch den „Valse triste“ von Jean Sibelius. Alles startet mit einem Oldtimer-Autowrack im Nebel, im Hintergrund Vorhangstreifen, auf die im Laufe des Abends winterliche Waldlandschaften oder vielmehr illustrierte Andeutungen davon projiziert werden. Aus den Boxen pfeift der Wind und zwei Paare schälen sich aus der düsteren Kulisse, zunächst die Männer im Duett, dann die Damen, alle gekleidet in grau-blauen Kostümen mit großen farbigen Flächen und klaren Linien. Aus dem Dunkel heraus drängen nun die bunten Geister, umwirbeln und bedrängen die Liebenden, treiben sie auseinander. Immer wieder verschwinden einige unmerklich nach hinten, tauchen wieder auf, bis schließlich die leere Bühne zurückbleibt und das Orchester unter Generalmusikdirektor Ruben Gazarian endlich aufspielen darf.

Dieser „Valse“ ist eine Geisterstunde und die Geschichte zweier Liebenden auf Spritzfahrt. Fröhlich und naiv tanzen Stefania Mancini und Giovanni Cancemi einen lebenslustigen, aber mitunter scheuen Tanz inklusive Fahrt im Autowrack auf die Waldlichtung, wo sie schlafend herniederfallen. Zum großen Finale mit „La Valse“ kommen dann Melissa Escalona Gutierrez und Fernando Calatayud Panach hinzu und werden alsbald von den nun schwarz gekleideten Geistern umschwärmt und in eine Art tänzerisches Ringen vermittelt, das an den zweiten Teil der „Giselle“ denken lässt. Doch wo im „Sacre“ die Damen ihrer Unterwerfung zugeführt werden, behält die resolute Escalona Gutierrez die Oberhand und unterwirft den heischenden Schwarm. 

Thoss findet hier große mystische Bilder mit großen wogenden Elementen. Ein Wiegen im Winde der in diesem Setting gar düster und geradezu aggressiven Musik, die Walzer als poetische Angriffsformation nutzt. 

Ein beachtlicher Doppelabend, zumal es aus Ensemble und dem Feld der Elev*innen zahlreiche Doppelbesetzungen gibt und beide Teile durchaus fordernd sind. Dramaturgisch hätte der „Vals“ besser hinter das „Sacre“ gepasst, aber die Reinigungsarbeiten nach dem Wasserspiel lassen diese Reihenfolge aus logistischen Gründen als die allein Machbare erscheinen.

 

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