Neue Leitung der Tanzsparte des Staatsballett Thüringen
Vitalij Petrov folgt ab der nächsten Spielzeit auf Silvana Schröder
Eine Uraufführung von Silvana Schröder beim Thüringenballett in Gera
Silvana Schröder ist eine Choreografin mit sozialem Gewissen. In ihrer neuen Arbeit gilt ihr Interesse Menschen, die ihren Leidenschaften mit solcher Ausschließlichkeit nachgehen, dass sie sich der Gefahr aussetzten, der Welt abhanden zu kommen. Nicht selten reagiert die Umwelt mit Ablehnung, die Folge für Betroffene kann Isolation sein, selbst hervorgerufen, gern verfestigt aus Bequemlichkeit der anderen.
Silvana Schröder möchte mit ihrem neuen Ballettabend um Verständnis werben, sie stellt ihre „Sonderlinge“ ins helle Licht des Theaters. Hinsehen statt wegsehen, erkennen statt zu verurteilen. In 90 Minuten, zu eingespielter Musik von Philip Glass, Hugues le Bars, Einstürzende Neubauten, Pink, Tom Hodge, Patty Griffin und Guiseppe Verdi, werden 24 „Freaks“ von den 23 Tänzerinnen und Tänzern der Kompanie sowie einer Sportgymnastin vorgestellt.
Ein Mensch mit Liebe und Leidenschaft zum Malen ist ein Graffiti-Künstler, demzufolge ein Freak. Eine Frau braucht Kontrolle und Ordnung, sie ist ein Kontroll-Freak. Ein Mann trägt eine blonde Wuschelperücke und lässt die rote Clownsnase am Gummiband immer wieder ins Gesicht schnippen, also ist er auch ein Freak. Ein anderer genießt die Stimmen großer Sänger, Verdis „La Traviata“ – was sonst – wird eingespielt, er ist ein Opern-Freak. Eine Frau mit der Kamera möchte alles festhalten und ein Mann möchte gerne einen Rock tragen, er ist ein Fashion-Freak. Wie schon gesagt, das Thema wird in 24 Varianten angespielt, aber leider nicht durchgespielt. Es gibt zu jedem Freak-Typen eine Etüde, allein, im Dialog, im Verhältnis zur Gruppe, die kann mal kleiner sein oder die ganze Kompanie ausmachen. Das alles geschieht in einem Käfig, den Andreas Auerbach für dieses Ballett der in ihren Leidenschaften gefangenen Menschen gebaut hat.
Alle Tänzerinnen und Tänzer nehmen die Herausforderungen an, je nach Typ gehen sie humorvoll, besessen, sportiv oder elegant, versonnen und sogar mit leicht dosierter Aggression um. Alle bleiben letztlich sympathisch, was auch daran liegen mag, dass Tänzerinnen und Tänzer ohnehin zumeist über angenehme Ausstrahlung verfügen, was sie ihren Haltungen, ihrem Können und nicht zuletzt auch den Formen ihrer durchtrainierten Körper verdanken. So bleiben Verschärfungen, konfliktgeladene Situationen oder gar Provokationen, die dem Thema sehr angemessen wären, aus. Dennoch, die Leistungen der Tänzer sind die Lichtblicke des Abends. Denen aber stellt sich ein Wust von Worten entgegen. Es wird viel geredet. Eine junge Pop-Sängerin hat zu jedem Typ eine Erklärung parat, wie sie Silvana Schröder verfasst hat. Das kann dann auch so klingen: „Sie taucht gern in die Welt des Filmes ein – vielleicht wird sie selbst mal ein Star.“, oder „Sie hat einen kleinen Schuhtick – und weiß schon gar nicht mehr, wie viele sie schon besitzt.“ Mit einigen beim bloßen Hören schwer zugänglichen Texten aus Büchern des Autisten Birger Sellin, die ebenfalls eingefügt werden, soll eine Metaebene erzeugt werden, letztlich aber wird verbal gedoppelt was ohnehin prägnant getanzt wird und ob der Klarheit gewählter Motive und Bilder sich erschließt. Die brav aufgesagten Texte überlagern den Tanz. Das ist schade. So wirkt Silvana Schröders Weltverbesserungsballett eher belehrend als befreiend und dass alle Tänzerinnen und Tänzer die Masken ablegen, ihre Tanzschuhe ausziehen, wenn sie abgehen, Kinderfotos von ihnen als Projektionen erscheinen, folgt an diesem Abend im Theater so sicher wie das Amen in der Kirche.
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