„Mutual Comfort“ von Edward Clug, Tanz: Arianna Di Francesco, Nicola Prato, Albert Galindo und Natsuho Matsumoto

Typisch tierisch, allzu menschlich

„Just a game“ in Mannheim

Vier Arbeiten, drei Uraufführungen und das Tier im Mensch. Dazu Machtkämpfe des Gutbürgerlichen und fein aufgedröselt: alle Lebensfäden. Stephan Thoss hat echt ein Händchen für Talente.

Mannheim, 30/10/2024

Ob Tiere die besseren Menschen wären, darüber könnte man mehr oder weniger ernsthaft streiten. Sie sind jedenfalls perfekte Theaterbesucher: Beim neuen Nationaltheater-Tanzabend „Just a game“ haben ein paar von ihnen schon zwischen den Besuchern im Alten Kino Franklin Platz genommen. Zusätzlich zu den verblüffend real arrangierten Schaufensterpuppen drängen sich einige Latecomer höflich durch die Reihen: Menschen mit detailgetreuen und höchst ausdrucksvollen Tiermasken. Sie geben das Thema vor für das längere Auftaktstück des vierteiligen Abends, „Humanimal“ von Ballettdirektor Stephan Thoss.

Das gesamte vierzehnköpfige Ensemble ist involviert, wenn Thoss (Choreografie, Bühne, Kostüme) die üblichen Abgrenzungen zwischen Mensch und Tier spielerisch und virtuos infrage stellt. Wer ist härter, verschlagener, grausamer, schleichender, anpassungsfähiger, zärtlicher? Und wer gehört eigentlich hinter, wer vor die Gitter? Die Bühne hält einige Überraschungen bereit: zum Beispiel ein Streichquartett, das sich mit Stücken des komponierenden Rockstars Bryce Dessner höchst effektvoll in das Geschehen einmischt. Ob die Zuschauer in einen Käfig oder einen Tanzsaal schauen, ob die Tiere ein- oder die Menschen ausgesperrt werden sollten – Thoss lässt seiner überbordenden Fantasie freien Lauf. Er mixt Federkleid, Fell und Schlangenhaut (mehr als passend für Anna Zardi) in die Kostüme, spielt mit den Tiermaskenköpfen und verbindet in der dramatischen Bewegungssprache typisch Tierisches mit allzu Menschlichem – „Just a game“ eben, ein gelungenes Spiel.

Gegenseitige Verletzungen

Gewitzt düster ist die Stimmung beim Choreografen-Duo Rebecca Laufer & Mats von Rossum (der auch gemeinsam mit Thomas Walschot für das Sounddesign verantwortlich zeichnet). Im Duo „Clay“ arbeitet sich ein Paar virtuos an den gegenseitigen Verletzungen ab (Paraderollen für Dora Stepušin und Joseph Caldo). In einer leicht beklemmenden Atmosphäre abgestandener Gutbürgerlichkeit werden die Machtspiele ausgereizt, in denen die beiden Akteure sich in nichts nachstehen. Der Paar-Zweikampf wird zunächst berührungsfrei, dann dezidiert handgreiflich ausgetragen – Slapstick lässt grüßen, freilich mit ernstem Hintergrund; am Ende steht ein lichter Hoffnungsschimmer. 

Ganz anders, mit einer fein ziselierten Bewegungssprache auf Ballett-Grundlage, verhandelt Choreografie-Star Edward Clug in seinem Stück „Mutual Comfort“ (2015 für Nederlands Dans Theater 2 konzipiert) die Suche nach Verständnis und Nähe. Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer erkunden darin virtuos die Komplexität von Beziehungen mit seltenen, kostbaren Momenten von Intimität. Die Auftragskomposition von Milko Lazar, ein Stück für zwei Pianos und zwei Cellos, wird dabei live auf der Bühne gespielt.

Sensibel verhandelte Lebensfäden

Musik ist auch der eigentliche Star in „Tafteh“ (Teppich) von Giovanni Visone (Choreografie, Bühne, Kostüme). Der Italiener, Tänzer bei Eric Gauthier in Stuttgart, steht noch ganz am Anfang seiner choreografischen Karriere – er arbeitet zum ersten Mal für eine große Bühne und mit einer sechsköpfigen Besetzung. Aber Achtung: Namen merken! Was er hier in Kürze verhandelt, sind nicht mehr und nicht weniger als die unterschiedlichen Lebensfäden. Das alles gelingt höchst sensibel, stimmig und vor allem außerordentlich musikalisch. Man könnte die ausgewählten Musikstücke von David Nigro, Matt Maltese und Ben Crosland trotz ihrer verschiedenen Klangfarben für eine Auftragskomposition halten – so überzeugend finden Klang, Stimmung und Bewegung in diesem Stück zueinander.
Stephan Thoss ist ein bewährter Talentscout für das eigene Genre. Mit dem hier eingelösten Produktionspreis für Choreografie beim Internationalen Choreografie-Wettbewerb in (zu dessen Jury er zählt) hat er einmal mehr einen guten Griff getan.

 

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