Giuliana Penzi Tanzpreis
Ballettpädagoge der John Cranko Schule ausgezeichnet
Man braucht nur „Ballett“ drüberschreiben, und es verkauft sich. In der Region um Stuttgart kennt die Tanzbegeisterung des Publikums keine Grenzen, weshalb Ballettschulen und Akademien hier auch so gerne gastieren - und dem geneigten Zuschauer über die Jahre hinweg beste Vergleichsmöglichkeiten offerieren. Birgit Keils Mannheimer Tanzakademie war gerade wieder da, im letzten Jahr sogar die Royal Ballet School, und natürlich immer wieder die John-Cranko-Schule. Neben moderneren Gruppen-Choreografien wie José de Udaetas „chicochica“ enthielt das Programm der Stuttgarter hauptsächlich Ausschnitte aus klassischen Balletten. Bis auf einige Nervositäts-Wackler tanzten die Schüler sicher und entspannt, zeigten fast durchweg schöne Port de bras, besaßen Ausstrahlung und Bühnenpräsenz. Schon in der Schule scheint hier der gleiche Enthusiasmus um sich zu greifen, der immer wieder als spezielles Erkennungszeichen der Stuttgarter Kompanie gerühmt wird. Besonders beeindruckend: die Koordination, mit der sich die Schüler und Studenten - ob zwei, drei, vier oder zwölf - in absolutem Gleichklang bewegten, ihre exakte, allein aus der Musik herausgehörte Übereinstimmung. Ein weitere Entdeckung: In der John-Cranko-Schule gibt es endlich wieder gute Mädchen, und davon gleich jede Menge. Bereits Schülerinnen der 3. und 4. Klasse zeigten in ihrem Bach-„Scherzo“ leichte, schöne Arme und versuchten sich erfolgreich im geisterhaften Sylphiden-Schweben. Ob die Juwelen aus „Dornröschen“ oder Variationen aus „Bayadère“, „Paquita“, „Esmeralda“ und Lawrowskys „Symphonie Classique“, die jungen Ballerinen besaßen durchweg solide Technik und eine feine Linienführung. Ganz zu schweigen von den technischen Kunststücken, die Janina Strejcek im „Nussknacker“-Pas-de-deux oder Ann-Kathrin Adam und Juliya Gerbina in „Das bucklige Pferdchen“ so mühelos, ja zart auf die Bühne ziselierten. Die temperamentvolle Rachele Buriassi könnte man mit ihrer Kitri-Variation und den hohen Beinen nahtlos auf die Bühnen der Welt schicken - kaum zu glauben, dass sie noch drei Jahre Ausbildung vor sich haben soll.
Bei den Herren dominiert der blasse Adel und die russische Schule des Malakhov-Lehrers Petr Pestov: Yuri Polkovodtsev wirkt noch etwas flach im Ausdruck und auch nicht unbedingt reaktionsschnell, das direkte Gegenteil dazu ist der leider nicht sehr groß gewachsene Andrey Pisaryev, der sein „Corsaire“-Solo mit einer atemberaubenden Drehung verzierte. Der bildhübsche Moldawier Ulian Topor, schon fast zwanzig Jahre alt, wurde mit seinen leichten, hohen Sprüngen und nahezu perfekten Double Tours als Star des Abends präsentiert - und man könnte ihn sich wahrhaft als Malakhov-Nachfolge-Modell vorstellen. Aber ach, die sensationellen technischen Möglichkeiten und seine Schnelligkeit wurden im Abschluss immer wieder von leichten Unsicherheiten beeinträchtigt. Durch Ben van Cauwenberghs Jacques-Brel-Solo „Les Bourgeois“ wirbelte er nur so, aber vom spöttischen Inhalt hatte er leider wenig verstanden. Dennoch: Was für eine Hoffnung!
Als zwei müde Marathon-Tänzer schlurften Xenia Wiest und Antonio di Carmine durch den tragikomischen Tango „Come neve al sole“ des Stuttgarter Halbsolisten Rolando d'Alesio. Obwohl sie erst vor kurzem damit den deutschen EBU-Wettbewerb gewonnen haben, wurde gerade bei ihrer Interpretation der Unterschied zu den Tänzern der Stuttgarter Kompanie sehr deutlich, die das Werk vor zwei Jahren kreiert haben. Ganz leise entstand die Frage, ob die eindeutigen Verbesserungen auf der tänzerisch-technischen Seite bei der John-Cranko-Schule nicht vielleicht auf Kosten von Ausdruck und Persönlichkeit der Schüler gehen. Vielleicht war die Übermacht der Klassik im Programm doch zu stark? Der fetzige „Irische Tanz“, den Ludmilla Snéjina-König für ihre Schüler der 2. Klasse choreografiert hat, ist mit seinen Riverdance-Anleihen eine wunderbare Abwechslung von den Holzschuhtänzen und putzigen Polkas, in denen die ganz Jungen sonst bei solchen Aufführungen manchmal auftreten - ein echter Rausschmeißer, von Schulleiter Tadeusz Matacz mit demselben unfehlbaren Gefühl für eine gute Show an den Schluss der Aufführung gestellt, das man von Ballettintendant Reid Anderson kennt. Das Publikum akklamierte rhythmisch, entsprechend strahlten die umjubelten Schüler. Im direkten Vergleich, man muss es ohne jeden falschen Lokal-Stolz sagen, war ihre Darbietung strahlender, spontaner und zupackender, auf jeden Fall aber von größerem Enthusiasmus getragen als das Gastspiel der Royal Ballet School bei ihrem Waiblinger Auftritt vor einem Jahr.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments