Bournonvilles „La Sylphide“ am Mussorgsky-Theater

oe
St. Petersburg, 12/07/2003

Die Hamburger tanzen heute die zweite und dritte Vorstellung der „Möwe“. Ich habe mir die morgige Matinee der „Möwe“ IV in der Alternativbesetzung vorgenommen. In den anderen Theatern gibt es an diesem Abend zwei verschiedene „Giselle“- und „Schwanensee“-Produktionen, alle traditionell. Im Mussorgsky-Theater steht Bournonvilles „La Sylphide“ auf dem Plan. Das Angebot ist derzeit ganz auf die Touristenströme abgestellt, die die Stadt zur Hochsaison ihrer „Weißen Nächte“ heimsuchen.

Ich entscheide mich für „La Sylphide“ – auch um endlich das frühere Maly-Theater kennenzulernen, das Kleine Theater, die Städtische Oper sozusagen. Ein hübsches, intimes Haus, in warmen Braun-Tönen. Ich kaufe eine Karte an der Abendkasse für 380 Rubel, das sind ungefähr zwölf Euro, und habe keine Ahnung, wo ich sitzen werde. Ich stöhne über die Treppenfluchten, die ich erklimmen muss und lande schließlich im dritten (von vier) Rängen, wo ich aus der ersten Reihe in der Mitte eine blendende Sicht auf die Bühne habe. Die Produktion von Elsa-Marianne von Rosen war der erste komplette Bournonville in der damaligen Sowjetunion, dürfte also gut zwanzig bis dreißig Jahre alt sein. Im äußerst dürftigen Programmheft für 17 Rubel, das sind etwa fünfzig Cent, gibt es keinerlei Informationen außer dem Besetzungszettel und einer knappen Inhaltsangabe.

Sehr vertrauenserweckend ist das alles nicht, aber die Einstudierung wirkt keineswegs antiquiert oder gar angestaubt. Sie ist natürlich ganz und gar traditionell, mit eher leicht gebremsten pantomimischen Rezitativen und einer wüst chargierenden Hexe Madge, deren Namen ich mir mühselig aus ihren kyrillischen Lettern zusammenbuchstabiere: Yu. W. Gaiiewa. Keine große Vorstellung, gewiss, aber durchaus professionell und sehr frisch und bestens konditioniert getanzt, die Bournonville-Touches sauber und akkurat – und mit allen bühnentechnischen Schikanen (Flugapparate etc.) versehen, die auch reibungslos funktionieren.

Eine zierlich graziöse, leichtgewichtige La Sylphide, durchaus poetisch mit präziser Fußarbeit und duftigem Port de bras ist E. M. Chabibuliia. Der sprungalerte James erinnert mich ein bisschen an den jungen Peter Schaufuss und heißt R. B. Michailew (wenn die Russen sich doch endlich entschließen könnten, die Vornamen auszuschreiben, statt immer bloß die Initialen anzugeben!). Ihn würde ich gern einmal als Konrad im „Korsar“ erleben, den die Kompanie auf dem Spielplan hat. Sie steht übrigens nach wie vor unter der Leitung von Nikolai Bojartschikow, der vor langer, langer Zeit mal an der Deutschen Oper Berlin (oder war es damals noch die Städtische Oper Berlin?) „Romeo und Julia“ choreografiert hat.

Jedenfalls macht die Kompanie einen durchaus positiven Eindruck – und keineswegs den, dass dies eine Routinevorstellung für anspruchslose Touristen ist. Auch Effie und Gun sind trefflich besetzt mit W. S. Schischkowa und W. A. Rabkow. Alles in allem eine ordentliche Vorstellung, die neugierig darauf macht, die Kompanie mal in einer moderneren Choreografie zu sehen!

Kommentare

Noch keine Beiträge