Der Bewegungshelfer

Ohne Tanzwerkstatt-Kurator Walter Heun geht fast nichts in der Münchner Szene

München, 31/07/2003

Ein wenig, grübelt Walter Heun über seiner Apfelschorle, fühle er sich schon „wie der brave Bauer, der 20 Jahre sein Feld bestellt und dem es nun urplötzlich die Ernte zerhagelt“. Die Schlagzeilen von neulich haben dem Veranstalter der „Tanzwerkstatt Europa“, die in diesem Jahr zum 13. Mal stattfindet, einige schlaflose Nächte bereitet. „Doch mittlerweile habe ich das Gefühl, das Ganze ist ein riesengroßes Missverständnis gewesen.“ Heun hatte als alleiniger Kurator eines mit 30000 Euro dotierten städtischen Stipendiums für ein interdisziplinäres Vorhaben der bildenden Künstlerin Nevin Aladag und der Tänzerin Sabine Glenz, seiner Frau, votiert. Vom Kulturreferat sei ihm vor der Entscheidung ausdrücklich signalisiert worden, es sei kein Problem, dass seine Frau beteiligt ist. „Und ich halte es immer noch für ein absolut spannendes Projekt, das ich unbedingt bei der Tanzwerkstatt zeigen wollte.“

Die anschließenden Verwirrungen, die Heun derzeit zurechtrücken muss, nimmt er inzwischen mit Humor: „Immerhin haben sich für die Eröffnung der Tanzwerkstatt diesmal so viele Stadträte angemeldet wie nie zuvor.“ Dass manch einer aber nicht nur heimlich Schadenfreude über die verpatzte Entscheidung verspürt hat, mag daran liegen, dass sich Walter Heun über die vergangenen zwei Jahrzehnte für den zeitgenössischen Tanz schlicht unverzichtbar gemacht hat – nicht nur in München: bei der Biennale „Tanzplattform Deutschland“, dem „Dance Network Europe“, als Vorstand des „Bayerischen Landesverbandes für Zeitgenössischen Tanz“ wie beim „Nationalen Performance Netz“, einem Zusammenschluss freier Produzenten Deutschlands. Als Produzent, Veranstalter und ehrenamtlicher Lobbyist ist er jenseits des Rampenlichts mittlerweile einer der omnipräsenten wie einflussreichsten Macher.

Dabei hatte er, nach eigenem Bekunden, Anfang der 80er Jahre Tanzklassen an der Iwansonschule allein deshalb belegt, „um meinen Stil in der Disko zu verbessern“. Doch als Iwanson-Absolventen wie Micha Purucker, Andreas Abele, Jennifer Bury und auch Sabine Glenz damals den Grundstein der freien Münchner Tanzszene legten, spielte Heun als Organisator hinter den Kulissen mit. Unter dem gemeinsamen Label „Dance Energy“ zeigten die jungen Choreografen 1984 erste Stücke, ab 1985 gab es die jährlichen „Tanztage München“. Im folgenden Jahr gründeten sie ihr gemeinsames Produktionszentrum, die „Tanztendenz München“ – mit Heun als Geschäftsführer. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten führten 1993 zum Bruch.

Heun war und ist mit dem Selbstverständnis des Vereins als „reine Servicestation für die Münchner Choreografen gleich welchen Niveaus“ nicht einverstanden. Er plädierte für mehr Qualität, für Selektion und überregionale Koproduktionen. „Interessanterweise ist heute dasselbe Thema immer noch aktuell“, kritisiert er. „Die Münchner Choreografen machen die Stadt zu einer kleinen Insel, wo ein paar Eingeborene wohnen, die sich massiv gegen jeden Eindringling von Außen wehren.“ Das Gegenteil hatte Heun schon 1990 mit dem von ihm organisierten „BRDance-Festival“ anregen wollen: Erstmals überhaupt präsentierte sich die freie Tanzszene des Landes und zeigte zeitgleich in 15 deutschen Städten eine Bestandsaufnahme. 1991 finanzierte Heun über die Europäische Kommission sein erstes internationales Projekt: Vier noch unbekannte Nachwuchschoreografen aus vier Ländern – William Petit, Marc Murphy, Rui Horta und Micha Purucker – erarbeiteten einen tänzerischen Beitrag zum damaligen Mozartjahr, der durch Europa tourte – und im Zentrum der ersten „Tanzwerkstatt“ stand. „Dabei habe ich kapiert, dass man sich nicht auf die lokalen Grenzen beschränken kann, um die Qualität von Tanz zu steigern. Man muss einen Ideenfluss in Gang bringen.“

Bis heute ist das Heuns Credo, ob bei der Initiative, einen „Choreographer In Residence“ in München zu installieren, oder eben bei seiner Tanzwerkstatt. Zu den Sommerworkshops reisen inzwischen Amateure und Profitänzer selbst aus Japan, den USA und Australien nach München an, die Aufführungen sind mit einem Schnitt von 85 Prozent traumhaft ausgelastet. Seit 2000 ist Heun zudem Künstlerischer Leiter von „luzerntanz“ in der Schweizer Stadt – einer am dortigen Theater etablierten Mischung aus freiem Produktionshaus, choreografischem Zentrum nach französischem Modell und Repertoirebetrieb für Abonnenten. Für Heun eine zukunftsweisende Integration: „Nach Bausch und Forsythe haben sich doch die künstlerischen Positionen und Performancekonzepte im Tanz in der freien Szene entwickelt, nicht mehr an den Stadttheatern.“

Obgleich ihm ähnliche Angebote für die Zeit nach der Luzerner Tanzintendanz vorliegen, die im nächsten Sommer zu Ende geht, will Heun auch künftig lieber von Thalkirchen aus mit seiner eigenen Firma „Joint Adventures“ frei produzieren. „Auch in der Situation vor ein paar Wochen hatte ich nie den Gedanken, wegzugehen.“ Dass er dabei nun nicht auch noch die hiesige Tanz-Biennale „Dance“ leiten wird, wie ihm dies Kulturreferentin Lydia Hartl angetragen hatte, scheint er zu verschmerzen: „Zum einen hatte ich da nie wirklich ja gesagt, zum anderen stimmt die grundlegende Arbeitsstruktur von „Dance“ für mich nicht. Da müsste man erst mal aussortieren, aber das werden jetzt andere machen.“ Was Heun viel mehr Kopfzerbrechen bereitet, sind die immer weiter schrumpfenden Mittel, die er bei der Stadt und von Sponsoren für seine Tanzwerkstatt akquirieren kann. „Ich befürchte, dass man sich zwangsläufig kommerzialisieren muss, um überhaupt überleben zu können. Die nächsten drei, vier Jahre werden da ganz hart werden.“

Aus der Süddeutschen Zeitung vom 31.7.2003

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