Der Quälgeist Hans van Manen

Birgit Keils Einstand als Ballettdirektorin

Karlsruhe, 25/10/2003

Hans van Manen in persona leistete tänzerische Anschubfinanzierung: Zwei Stücke steuerte er zu Birgit Keils erster Premiere als neue Karlsruher Ballettdirektorin bei und trat in „Bits and Pieces“ sogar selbst auf. Unter dem Zungenbrecher-Titel „Zeitgenössisch jung - zeitlos etabliert“ präsentierte die ehemalige Stuttgarter Starballerina, vom Karlsruher Intendanten Achim Thorwald vor einem Jahr ins Badische geholt, ein engagiertes, aber noch blutjunges Ensemble.

Die ersten beiden Stücke sind direkte Übernahmen aus ihrer Mannheimer Akademie des Tanzes - Christian Spucks kindisch-verspielte „Chaconne“ zu Mozart-Ballettmusik in völlig unveränderter Besetzung, und „Just before falling“ von Terence Kohler mit kleinen Änderungen in Choreografie und Besetzung. Zu Musik von Bach und John Cage springt der 19 Jahre junge Australier Kohler zwischen konzertanten Abschnitten im rein klassischen Stil und dem zackig-extremen Idiom der Forsythe-Nachfolge hin und her. Dass er dabei zu viel will und sich am Ende in theatralischen Tricks verzettelt, ist ein verzeihlicher Anfängerfehler; sein Talent zeigt sich im Einfallsreichtum und in einer ganz besonderen Musikalität, die nicht auf die Taktschläge choreografiert, sondern die Spannung dazwischen untersucht. Ob es wirklich eine glückliche Idee war, davor die harmlose und offensichtlich gezielt für den Ballettnachwuchs gemachte „Chaconne“ zu stellen? Gegen den jungen Kohler wirkt der Stuttgarter Hauschoreograf Christian Spuck, der sonst wirklich bessere und intelligentere Ballette macht, hier wie ein Grundschüler.

Auch Hans van Manens zwölf Jahre alter Mozart-Pas-de-deux „Andante“ ist ein Stück, das von der Spannung lebt - von der Spannung in den Beinen der Ballerina und von der eisigen Hochspannung zwischen ihr und ihrem Macho-Partner. Florentina Cristali, langjährige Karlsruher Solistin bereits unter Keils Vor-Vorgänger Germinal Casado, war mehr mit der korrekten Abfolge der Schritte als mit dem subtilen Spiel der Blicke beschäftigt, während Stoimen Todorov, ein Prachtbild von Mann in seiner sexy Kniebundhose, die abgezirkelte van-Manen-Erotik mit einer Spur zu viel Torero-Hochdruck anging.

In „Bits and Pieces“ aus dem Jahr 1984 stellen zwölf Tänzer in einer Art Fotoserie verschiedene Bewegungen nach: Hinsetzen, Vorbeugen, Aufstehen. Zum Raum wird hier die Zeit und steht in jeweils zwölf Momentaufnahmen still. Auf den Minimal Dance zu unterkühlter Rockmusik von David Byrne und Brian Eno folgt ein verdächtig braver Pas de deux zu Mendelssohn, bei dem man plötzlich hört, was die Ballerina so beim Tanzen denkt - „da stehen sie wieder in den Kulissen und glotzen“ oder auch ein herzhaftes „Shit!“, als sie von der Spitze fällt. Schließlich scheucht der große Hans van Manen himself das Corps de ballet per Fernbedienung über die Bühne, bis die empörten Tänzer ihm das blinkende Objekt entwenden und nun ihrerseits den hinterhältig lächelnden Quälgeist anfunken. Was der distinguierte, stets so würdevoll aussehende Starchoreograf mit seinen 71 Jahren dann praktiziert, ist eine Art Breakdance für Obercoole und verrät jede Menge Selbstironie (nach den Bildern im Programmheft wird der Karlsruher Ballettmeister und frühere Stuttgarter Tänzer Matthias Deckert die Fernbedienung in den weiteren Aufführungen übernehmen).

Birgit Keils Einstand ist ein geschickt zusammengestellter Abend ganz auf neoklassischer Basis, der gerade deshalb beim eher traditionell orientierten Karlsruher Publikum bestens ankommen dürfte. Eine Konkurrenz allerdings für ihre alte Stuttgarter Heimat ist dieses Programm noch lange nicht - vielleicht wirkte der erste Teil zu sehr wie eine Zweigstelle ihrer Mannheimer Akademie, vielleicht lag das Gewicht zu stark auf heiteren Stücken, vielleicht ist das Ensemble noch ein wenig jung und eher ungestüm als wirklich homogen. Verschieben wir also die Bewährungsprobe auf „Don Quixote“ im kommenden Frühjahr. Informationen und weitere Termine unter www.staatstheater.karlsruhe.de

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