Gruß nach St. Petersburg

oe
Stuttgart, 02/06/2003

Die schönen Tage von St. Petersburg sind vorbei – oder kommen sie erst noch, jetzt, da die offiziellen Festivitäten zu Ende sind, die Politgrößen wieder abgereist sind und der St. Petersburger Alltag einkehrt. Und das sind immerhin die „Weißen Nächte“, das große Spektakel, da sich die Stadt geradezu sommerdrogensüchtig in einem mehrwöchigen Ausnahmezustand befindet. Jedenfalls haben die Geburtstagsfeiern anlässlich des dreihundertjährigen Bestehens der Stadt Peters des Großen selbst bei uns in der Bundesrepublik für einen derartigen Medienauftrieb gesorgt, wie er noch kaum einer anderen Stadt je zuteil geworden ist.

Kaum einer der Beiträge in den Printmedien oder auf den Fernsehschirmen, in dem nicht auch auf das Mariinsky-Theater verwiesen wurde (inklusive der Neubaupläne des allmächtigen Petersburger Opern- und Ballettzaren, Valery Gergiev). Und immer wieder gab es auch einen Seitenblick auf die gloriose Ballettkompanie und die Ballettschule der Stadt. Aber für die Ballettfans in aller Welt fielen die diesbezüglichen Verweise doch ziemlich mager aus. Jedenfalls im Vergleich zu dem Stellenwert, den Schule und Kompanie rund um den Globus genießen. Mögen die Amerikaner sich immerhin einreden, dass New York heute die Balletthauptstadt der Welt ist: für die Ballettverehrer aller Kontinente schlägt das Herz des Balletts, befindet sich seine Seele nach wie vor in der Newa-Kapitale.

Welch eine verpasste Chance ausnahmslos aller unserer Ballettkompanien – nicht nur bei uns in Deutschland, sondern in allen Teilen der Welt, nicht die Gelegenheit ergriffen zu haben, auf ihre besondere Verbundenheit mit St. Petersburg hinzuweisen. Durch Galaabende beispielsweise als „Hommage an St. Petersburg“ oder durch Benefizvorstellungen, deren Erträge den Unterprivilegierten zugutegekommen wären, von denen es ja dort mehr gibt als wir bisher zur Kenntnis genommen haben (immerhin haben die diversen TV-Dokumentationen auch auf diese wenig schmeichelhafte Seite der Stadt hingewiesen).

Was haben unsere Kompanien in London, Paris, Mailand und Wien nicht alles angestellt, um an den zehnten Todestag Nurejews zu erinnern. Aber wir haben wohl alle die internationale kulturhistorische Bedeutung dieser Stadt unterschätzt. Dabei hätte doch gerade Hamburg als Partnerstadt St. Petersburgs allen Anlass gehabt, zu einer St. Petersburg Gala seiner Ballettkompanie einzuladen – zumal bei John Neumeiers bekannter Liebe zu dieser Stadt. Wenigstens ist es ein kleiner Trost, zu wissen, dass die Hamburger gleich im Anschluss an ihre Ballett-Tage mit Neumeiers „Nijinsky“ und „Die Möwe“ in St. Petersburg gastieren werden. Eine deutsche Ballettkompanie mit zwei so durch und durch russisch inspirierten Werken in Russland, in der Stadt, in der das russische Ballett geboren wurde und den Zenit seines Ruhmes erreichte, um anschließend von hier aus die Welt zu erobern. Wer hätte das vor fünfzig Jahren für möglich gehalten!

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