Johann Kresnik: Picasso

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Bonn, 19/10/2003

Typisch Kresnik! Während sich halb Bonn nach Berlin aufgemacht hat, ist Johann Kresnik mit seinem Choreografischen Theater von Berlin nach Bonn umgezogen. Und hat sein neues Publikum als Einstandspremiere mit seiner Berliner Derniere vom letzten Jahr beglückt: „Picasso“. Der Beifall scheint bei der Premiere enorm gewesen zu sein. Hoffentlich hält er an. Ich sah die dritte Vorstellung, an einem Sonntagabend um 18 Uhr. Den ersten und zweiten Rang haben sie gar nicht erst aufgemacht, und die freundlichen Einlassdamen luden die paar Dutzend Besucher ein, Platz zu nehmen, wo immer sie wollten.

Nun sind sie ja in Bonn allerlei gewohnt. Ich entsinne mich noch gut der ersten deutschen Original-„Giselle“ nach dem Krieg, 1953 im Ersatztheater, inszeniert von Boris Pilato (auch Günter Grassens erstes Ballett „Fünf Köche“ erlebte hier, von Marcel Luipart choreografiert, seine deutsche Erstaufführung). Im funkelnagelneuen Opernhaus gab es dann eine regelrechte Bournonville-Invasion, später versuchte sich Giuseppe Urbani hier als Ballettchef, dann kam Valery Panow und praktizierte sein Klein-Russland und Youri Vámos machte uns mit der letzten Zarentochter à la Prinzessin Aurora bekannt, zuletzt war Pawel Mikulastik mit seinen Tanzmimen aus Freiburg angereist.

Und nun also der wilde Hans mit seinem jüngsten Opus. Ist „Picasso“ das Finale seiner Maler-Trilogie (immerhin erscheinen im letzten Auftritt neben Picasso auch Andy Warhol und Joseph Beuys: Fortsetzung folgt?)? An die Dichte seines Francis Bacon und seiner Frida Kahlo reicht „Picasso“ nicht heran. Der gibt sich in der Nachfolge von Antonin Artaud als eine Art absurde Collage der Picassoschen Ikonografie. Picasso als Split-Personality in gleich neunfacher Gestalt, deren eine auch als sein feminines Alter Ego. Die anderen acht allerdings sind hemmungslose Machos, einer wie der andere und kaum zu unterscheiden. Individueller sind die Frauen profiliert – sie alle ausnahmslos Opfer von Picassos Libido – Wegwerfprodukte seiner malerischen Fantasie.

Es gibt viel Farbkleckserei, ungeheure Papier- und Plastikschlachten, schier endlos in die Breite gezerrte Stretchkostüme, ganze Wasserkaskaden (vornehmlich aus dem Mund), doch für Kresniksche Verhältnisse wenig Blut, kein Sperma und auch sonst kaum Ekelerregendes – und – Surprise! Surprise! – so gut wie keine Politik, dafür einen Taubenmann mit lebenden Tauben (als sei es eine geheime Huldigung an Ashtons „Deux pigeons“).

Unterhaltsam ist das Ganze fraglos, ungemein fantasievoll (besonders imponiert hat mir die Scheren-Frau), ausgesprochen originell auch Kurt Schwertsiks Musik für eine Dreier-Combo (darunter auch eine Lady mit Singender Säge). Alles in allem ist‘s aber doch ziemlich beliebig und ohne Biss, eben eine Collage. Oder, um einen Picassoschen Titel abzuwandeln „Picasso oder seine Wünsche am Schwanz gepackt“! Kein Lob ist indessen zu hoch gegriffen für die Tänzer. Was Kresnik ihnen zumutet, glaubt man nicht, wenn man‘s nicht gesehen hat. Und sie führen das aus, als stünden sie hundert pausenlose Minuten lang unter Hochspannung – wahre Virtuositäts-Artisten eines selbstlosen Masochismus.

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