Doppeltes Heimspiel
In Heidelberg zeigt Johann Kresnik sein „choreografisches Theater“ mit der „Sammlung Prinzhorn“ – eine Uraufführung des Theaterstücks von Christoph Klimke
Heidelberg im Herbst im Café in der Stadtbücherei. Wie immer, ist Christoph Klimke schon da. In all den Jahren war er nie zu spät. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, so lautet doch das berühmte Zitat von Michail Gorbatschow. Zwischen Dichtung und Wahrheit ist viel Platz, so wie beim Gorbatschow-Satz, den dieser nie gesagt haben soll. Wer aber Klimke verpasst, der steht zumindest etwas ärmer da. Vor allem die Tanz- und Theatermacher, kurzum: die Publikumsverantwortlichen im ganzen Land. Bevor sie ihre Spielpläne konzipieren, Regien planen und Choreografien auf den Leib ihrer TänzerInnen und SängerInnen schneidern, hat Klimke ihnen bereits passende, inspirierende Worte geliefert: Geschichten, Bilder, Szenarien, einen möglichen Ablauf – kurzum: des Pudels Kern im jeweils neuen Stück zur verborgenen Wahrheit über die Widersprüche, Lügen und Offenbarungen in unserer Welt. Klimke gießt das Fundament der Fantasie, wenn Worte zum Theatereignis werden sollen. Vor und auf der Bühne stehen dann die anderen. Raimund Hoghe, Pina Bausch-Dramaturg und Choreograf, hat ihn einmal sehr treffend als den bekanntesten Unbekannten bezeichnet. Trocken lässt sich das so variieren, dass Klimke einer der herausragenden Librettisten und Dramaturgen für Tanz, Oper und Schauspiel und damit einen der wirkungsvollsten Freelancer-„Artist´s Artist“ im deutschsprachigen Theater ist.
Begonnen hat sein Ruhm in der Theaterwelt 1996. Da war er Mitte dreißig und Hans Kresnik, der Erfinder und Berseker des Choreografischen Theaters, entdeckte ihn für sich. Klimke galt als Pasolini-Experte und Kresnik wollte Pasolinis „Teorema“ umsetzen. Damit war der Bund fürs Leben geschlossen, obwohl Klimke bis dato noch nie ein Libretto verfasst hatte. Er sollte 23 Jahre halten. Bis zu Kresniks Tod in diesem Sommer. Die Ausbeute: Über 40 gemeinsame Tanzstücke, Opern und Schauspiele für Bühnen in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz; die allermeisten von ihnen Uraufführungen, einige Wiederaufnahmen; alle immer auf den Körper gewendetes, ihn befragendes, ihn malträtierendes, sinnliches, oft politisches Theater, sei es zu Figuren wie Goya, Picasso, Don Quijote, Gudrun Ensslin, Hannelore Kohl oder Edgar Allan Poes´s Pym, oder zu literarischem Material wie „Schöne neue Welt“ oder „100 Jahre Einsamkeit“. „Kresnik hat viele Biografien auf die Bühne gebracht. Opfer, Täter, Künstler, Freunde, Feinde. Wider das Vergessen und mit seinem persönlichen Blick. (...) Er verstand Theater immer als politischen Auftrag. Das Theater ist kein Museum“ und Ballett „muss nach seinen Worten kämpfen“, so Klimke in seiner Trauerrede auf Kresnik vor wenigen Wochen in Blaiburg in Kärnten. Parallel zur Arbeit mit „Zampano“ Kresnik: durchgehend weitere Aufträge - schon lange trottet sein Wikipedia-Eintrag hoffnungslos hinterher: Allein 2020 bringen die Theater in Cottbus, Wien, Göttingen und Bleiburg Uraufführungen von ihm heraus; 2021 die Staatsoper Hamburg. Sein Werk „America First“ in der Regie von Erich Siedler am Theater Göttingen floriert. Aber auch ChoreografInnen der freien Szene arbeiten gerne mit Klimke zusammen. 2009 las er bei einem performativen Schweinebraten-Essen in Regensburg in dem von ihm unter anderem für Micha Purucker und Beate Höhn geschriebenen Tanztheater „Gerüche der Kindheit“ seine Texte vor.
Nie aufgegeben: Das atemlos machende Gedicht. „Alphabet des Meeres“ heißt seine jüngste Neuerscheinung. Insgesamt hat er bis heute knapp 25 Bücher und Bände veröffentlicht. „Im Grunde ist es plemplem, Gedichte zu schreiben. Das liest keiner, das kauft keiner. Und gleichzeitig ist es ein Plädoyer für sie“, sagt Klimke und erzählt von leicht fassungslos bis beglückt, wie kürzlich bei einer Lesung in Hamburg ein Leser aus Lüneburg vor ihm stand, mit zwanzig Klimke-Büchern unterm Arm, mit der Bitte, er möge sie doch alle signieren. Seine Gedichte – sie öffnen dem Tanz Raum, weil sie immer wieder den Körper ins Zentrum stellen. Das hat er von Pasolini gelernt. Dort war immer vom „Testament des Körpers“ die Rede. Seitdem kartografiert er den Leib mit Worten. „Unter der Haut ist unsere Schatzkarte. Hier wissen wir um unsere Zukunft,“ lautet einer seiner Verse, die oft in endlosem Enjambement ineinander übergehen. „Das Archäologische, das fand ich immer faszinierend“, so Klimke, „etwas auszugraben“ - alles, was das menschliche Existieren ausmacht: Liebe, Sehnsucht, Schuld, Scham und Tod. Das Ich in seinen Gedichten ist oft ohne Ort oder Heimat und mäandert zurück und nach vorne schauend zwischen Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart. Neben ihm: oft ein Tier: „Am Ende des Tales / nichts außer einem Adler / beäugt uns / seltene Vögel / flügellahm / könnten wir / umkehren / natürlich / wüssten wir / nur wohin.“
Und Heidelberg? Hier lebt Christoph Klimke. Beate Frauenschuh von der Stadtbücherei hatte 2011, als er hergezogen war, weil seine bessere Hälfte an das Theater Heidelberg engagiert wurde, sofort erkannt wer da vor ihr stand. Sie organisierte Lesungen, Begegnungen und genießt seine große Menschlichkeit: „Er ist viel unterwegs, aber wenn er in Heidelberg ist, ist er mit ungeheuerer Präsenz und Freundschaft da. Und das ist etwas sehr besonderes für Heidelberg.“ Heute feiert Christoph Klimke seinen 60. Geburtstag.
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