Kontinuität
Goyo Montero bleibt bis 2028 Ballettdirektor in Nürnberg
Zum ersten Mal arbeitet in Nürnberg die Choreografin und Ballettdirektorin Daniela Kurz mit der Bühnenkünstlerin Rosalie zusammen. Und anders als in ihren früheren Ballett-Ausstattungen drängt der Material-Fetischismus von Rosalie hier nicht den Tanz an die Wand, sondern lauert bedrohlich unter dem Tanzboden. Der ruht als schiefe Ebene auf unzähligen umgedrehten Baustellen-Kegeln, deren orange-weiß gestreifte Hütchen bisweilen wie Feuerglut erglimmen (vielleicht wirken sie deshalb wie ein später Nachklapp zu Rosalies Bayreuther „Ring“). Im Dunkel hinter dieser relativ kleinen Tanzfläche spielen die beiden Musiker, manchmal beobachtet das Ensemble von dort die Agierenden auf der Plattform. Links ist ein langer Metall-Steg über das abschüssige Helsingör gelegt, der bis hinunter ins Parkett reicht - von dort treten die Tänzer auf, die Rosalie in ärmellose Mäntel oder in strenge, aber edle Anzüge wie von japanischen Designern gehüllt hat. Farblich dominieren Le Rouge et le Noir - Königsrot und Intellektuellen-Schwarz. Über dem Steg hängt eine Art überdimensionale, beleuchtete Toblerone, die irgendwann in zwei Teile zerbricht. Geigerin Lenka Zupkova und Perkussionist Michael Kiedaisch sind in die Aufführung integriert; ihre sehr passend gewählten Kompositionen und Improvisationen umfassen Geräuscheffekte, atmosphärisches Kratzen auf den Saiten, Ethno-Trommeln, höfischen Tanz und sogar Melodieverwehungen eines traurigen Akkordeons. Wie zwei struppige schwarze Papagenos begleiten die beiden Totengräber Jessica Billeter und Sergiu Matis das Stück von Anfang an mit Textfragmenten, die aber nur selten von Shakespeare stammen.
Daniela Kurz setzt die Sprache meist assoziativ ein; manchmal, wie beim kollektiven Geschrei „Wo ist Polonius?“ hebt sie dadurch leider auch völlig unwichtige Stellen heraus. Billeter spricht fast alle Texte und bringt mit ihren absurden Einwürfen wie „lebendige Forellensoße, überlaut“ einen Anflug von Dadaismus in die strenge, ja kühle Aufführung. Denn das eineinhalbstündige, pausenlose Tanzstück komprimiert Shakespeares Drama zu einem abstrakten Welttheater, das die Personen in ihren zugeknöpften Unisex-Anzügen fast wie Chiffren einsetzt.
Das japanische Theater beeinflusst nicht nur einzelne Stationen wie das Schauspiel, das Hamlet seinem Stiefvater vorführt, oder das Duell, das Hamlet und Laertes hier mit langen Stäben austragen. Nein, der ritualisierte Ablauf des asiatischen Theaters hat vom ganzen Stück Besitz ergriffen, das sehr distanziert und fast wie episches Theater wirkt. Auch manche Kicks und Gliederwürfe des choreografischen Materials hat Daniela Kurz beim Schattenboxen und den asiatischen Kampfsportarten abgeschaut; zwar gibt es wiederkehrende Zeichen wie die ausholende Machtgeste des Königs, aber sonst ähnelt sich die Tanzsprache der Personen viel zu stark. Die Charakterisierung der einzelnen Figuren findet kaum über den Tanz statt. Auch dass Hamlet von einer Frau getanzt wird, fällt eigentlich kaum auf - Dagmar Bock ist ein zarter junger Mensch, verletzlich, verzweifelt, eher geschlechtslos als androgyn. Von der ebenfalls zarten, jungen, verzweifelten Ophelia (Nefeli Skarmea) unterscheidet Hamlet manchmal nur die Farbe des Hosenanzugs. Die tödliche Wut, mit der er schließlich auf Polonius losgeht und ihn umbringt, nimmt man weder der Tänzerin noch der Choreografin ab: Dem Nürnberger Hamlet fehlt die dunkle, nihilistische Dimension, der bis zu den letzten Argumenten vordringende Wahnsinn.
Anders als vielleicht „Romeo und Julia“ oder manche von Shakespeares Komödien braucht der „Hamlet“-Stoff die Sprache, die Wortspiele, Metaphern und den sezierenden Scharfsinn der Monologe. Wie keine zweite Shakespeare-Gestalt existiert Hamlet erst in seinen Worten - wahrscheinlich ist der Stoff deshalb nie als Ballett berühmt geworden. Woran auch diese Fassung nichts ändern wird.
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