Ein gelungenes Experiment

Ballettpremiere „Zooming!“ in Nürnberg

Nürnberg, 20/12/2002

Selbst ohne die eigentliche Aufführung wäre das jüngste Premierenprogramm des Ballett Nürnberg für seine Zuschauer eine aufregende Angelegenheit gewesen. Denn Ballettdirektorin Daniela Kurz hat sie diesmal direkt auf die Bühne der Städtischen Oper verfrachtet, in jenen gewaltigen, dunklen, hohen Raum voller beeindruckender Technik also, der dem Publikum normalerweise verschlossen bleibt. „Zooming!“ heißt der neue Abend, an dem die Zuschauer den Tänzern buchstäblich auf die künstlerische Pelle rücken und durch den Verlust der sonst üblichen Distanz neue Erkenntnisse gewinnen sollen.

Die Bankreihen sind an den Seiten und im Hintergrund der Bühne um die Tanzfläche postiert, nach vorne ist der Blick frei auf den halbdunkel schimmernden Saal. Der renommierte britische Choreograf Russell Maliphant, er wird im kommenden Juni auch ein Werk für das Stuttgarter Ballett schaffen, eröffnet das Programm mit den Erstaufführungen „Two“, einem spannenden Solo für Nefeli Skarmea, die auf einem winzigen Lichtquadrat mit ihren Armen den knappen Raum erforscht und immer wieder auf ihren Körper zurückgeworfen wird, sowie „Knot“ für Luca Maraiza und Shang-Chi Sun, die zu Bongoklängen beinahe ausschließlich über ihre Arme und Hände miteinander Verbindungen suchen, eine Art gegenläufiger Kampfsport.

In der Uraufführung „Two by Two“ platziert Maliphant Caroline Eckly auf ein Podest weit entfernt mitten im Zuschauerraum, wo sie erneut das Eröffnungsstück zelebriert, während sich Dagmar Bock auf der Bühne mit Teilen der gleichen Choreografie sozusagen einmischt, zuweilen Synchronität erreicht, dann wieder abschweift und so einen eigenwilligen Kontrast zwischen Nähe und Distanz hervorruft.

Daniela Kurz selbst steuert gleich zwei Uraufführungen bei, in denen sie sich endlich wieder einmal auf ihre skurrile und humorvolle Seite besinnt. „A Man In A Room, Gambling“ zeigt drei Tänzer als Stehaufmännchen in ihren dicken, runden Gewichten an den Füßen, die alle Bemühungen um mehr Spielraum zunichte machen und sie immer wieder in die Senkrechte zwingen, eine Tänzerin weit hinten im Saal, die sich, über Tisch und Stuhl turnend, weit mehr Freiheit verschafft, und ein Paar auf der eigentlichen Tanzfläche, dem die Entfernung voneinander schließlich die Möglichkeit zu einer endgültigen Annäherung bietet.

In „Towards the Corner“ schließlich bricht sich die pure Tanzlust Bahn. Sieben Damen und Herren kobolzen mit ungelenker Eleganz zu Bongomusik über die Bühne, ihre verblüfften Gesichter scheinen die Welt zu entdecken, sie fliegen sich gegenseitig in die Arme, watscheln großsprecherisch umher, plustern sich auf – alles zum Greifen nahe vor den Augen der Zuschauer, die sich vor Vergnügen kaum einkriegen.

Der Abend wird mit der Erstaufführung von Tero Saarinens bekanntem „Westward Ho!“ komplettiert, einem ursprünglich für Männer choreografierten Trio, das in Nürnberg von Jessica Billeter, Dagmar Bock und Riikka Läser getanzt wird. Menschen, die sich in der Not zu Seite stehen, verlieren diese Verbindung angesichts des Endes der Gefahr oder der Vergeblichkeit ihrer Hoffnung. Das Stück scheint hier seinen eigentlichen Bühnenraum gefunden zu haben. Wie überhaupt das gesamte Programm eine ungewöhnlich intensive Intimität vermittelt, wie sie mit konventionellen Aufführungen kaum erreicht werden kann. Ein gelungenes Experiment.

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