Raffiniertes Cinema-Theater
Das Béjart Ballet Lausanne bringt „Dixit“ zur Uraufführung
Es war eine Saison-Abschlussgala wie so viele, aber diese war dem scheidenden Semperoper-Intendanten Christoph Albrecht gewidmet und deswegen besonders hochkarätig besetzt und besonders lang. Der Gastgeber, das Ballett Dresden unter Ballettchef Vladimir Derevianko, zeigte sich gleich zu Anfang in einem Ausschnitt aus Uwe Scholz' „Schöpfung“ (der man ihr Alter von fast zwanzig Jahren doch ansieht) zwar technisch in Form, aber alles andere als synchron. Das bunt gemischte Programm bot genau das, was man bei Galas erwartet: bekannte Pas de deux mit bekannten Gästen.
Für die Ohren aber hielt diese Gala ganz ungewohnte Töne bereit: Die Sächsische Staatskapelle spielte unter der Leitung von Klauspeter Seibel nicht nur Haydn, Mahler oder Prokofjew in bekannter Qualität, sondern widmete sich auch Minkus, Delibes, Drigo und all dieser belächelten Ballettmusik mit einer Begeisterung, die sonst nur russische Orchester fürs Ballett aufbringen. Oft sieht man bei solchen Anlässen unter den eingeladenen Paaren starke Partnerschaften, in denen jede Hebung sitzt und alles mühelos fließt - Partnerschaften wie die von Agnes Oaks und Thomas Edur vom English National Ballet, die sich beide in Brillanz und Stil ergänzen, oder wie die von Lucia Lacarra und Cyril Pierre aus München, wo er hauptsächlich dazu dient, sie herauszustellen. Lacarra zeigte in zwei maßgeschneiderten Pas de deux von Gerald Arpino und Gérard-Michael Bohbot die schöne Linie ihres biegsamen Körpers mit so viel mehr Charme als in ihren großen Klassikerrollen. Auch Bernice Coppieters und Chris Roelandt von Les Ballets de Monte-Carlo gehen ganz ineinander auf - ihre Partnerschaft hat vor allem eine innere Wellenlänge, die ganz auf dem verspielten Stil ihres Chefchoreografen Jean-Christophe Maillot beruht. Die Pas de deux aus „La Belle“ und „Romeo und Julia“ zeigten erneut, wie glückselig, wie hingetupft und musikalisch Maillot choreografieren kann, wenn man das aufgesetzte modische Drumherum nicht sieht.
Ein Tänzer, der ebenfalls den persönlichen Stil seines Choreografen so verinnerlicht hat, dass er zum idealen Interpreten, ja zur Muse wurde, ist Lloyd Riggins vom Hamburger Ballett. Er war John Neumeiers tief verletzter, leidenschaftlicher Armand, aber seine Kameliendame Anna Polikarpova hatte so gar nichts von einer kranken Kurtisane. José Martinez vom Pariser Opernballett war einmal nicht mit Agnes Letestu unterwegs, sondern zeigte mit der Pariser Halbsolistin Isabelle Ciaravola zwei streng klassische Pas de deux (einen davon hatte er zu Delibes-Musik selbst zusammengestellt). Ciaravola hat zwar die eleganten, hohen Beine der französischen Schule, war dennoch ein wenig unsicher und nicht sehr musikalisch. Martinez hat alles und kann alles - aber er tanzt etwas fade und ohne Feuer, wie ein Dirigent, der sauber den Takt schlägt, aber keine Emotionen aus der Partitur holt. Klare Sieger nach Punkten waren in diesem Fall Oaks/Edur mit ihrem „Don Quixote“-Pas-de-deux, der dem wenig ballettbegeisterten Dresdner Publikum doch noch einen Urschrei entriss. Sie drehte blitzsaubere Fouettés, er baute riskante Schräglagen in sein Solo ein und hatte die einarmigen Hebungen perfekt drauf. Edur ist nicht sehr groß und hat keine so langen Beine wie Martinez, wirkt aber wesentlich eleganter und pointierter.
Oaks/Edur hatten etwas dabei, was es bei Galas eher selten gibt: eine fast noch ganz neue Choreografie. Der Pas de deux „2 Human“ zeigt erneut, wie aufregend es aussieht, wenn Wayne McGregor auf klassische Tänzer trifft. Der englische „Cyberchoreograf“ verpasste den beiden Klassik-Ikonen des britischen Tanzes Punker-Frisuren und zerrissene Kleider, machte aus der püppchenhaften Ballerina und dem stilvollen Danseur Noble ein an sich selbst verzweifelndes Androidenpaar. Zur einer Bach-Violinpartita greift McGregor Posen des klassischen Vokabulars auf und lässt sie gleichsam von Robotern nachspielen; ein wenig strukturlos wirkt der lange Pas de deux zwar, lässt aber seine Interpreten auf einem ganz neuen Gebiet glänzen.
Ein weiterer Programmpunkt, bei dem nicht nur die Interpretation, sondern auch die Choreografie neugierig machte, war Dana Caspersens Solo für den beinamputierten amerikanischen Tänzer Homer Avila, für das ein ganz anderer Einfallsreichtum vonnöten war als für einen Tänzer mit zwei Beinen - ein intensives und sehr berührendes Stück, gerade inmitten eines solchen Abends. Und manchmal sieht man bei solchen Anlässen auch ein paar echte Stars - große Tänzerpersönlichkeiten, die nicht nur Klassiker perfekt wiedergeben, sondern die ihre Kunst so geprägt haben, dass von ihnen Impulse für den Tanz ausgehen, dass sie Maßstäbe setzen. Große Ballerinen wie die Kanadierin Evelyn Hart, deren wunderbare Phrasierung auch am Ende ihrer Karriere noch immer vollkommen ist, deren fließende Port de bras und deren feine, schwebende Hände noch immer das Idealbild für jede romantische Ballerina darstellen müssen. Oder große Interpreten wie Gil Roman vom Béjart Ballet Lausanne, der in Maurice Béjarts „Adagietto“ zur berühmten Mahler-Musik aus der fünften Sinfonie allen Schmerz des Abschieds tanzt, sich durch alle Schattierungen des Losreißens, Aufschreiens, Resignierens bis zum lächelnden Loslassen durchringt. Tänzer wie er zeigen uns, warum die wahre Kunst nicht allein darin beruht, vollendete Drehungen und Sprünge zu beherrschen, sondern dass es erst dann ins Innerste trifft, wenn diese tänzerische Perfektion völlig in der Interpretation aufgeht. Es sind Tänzer wie er, für die wir das Ballett so lieben.
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