Vor zwanzig Jahren starb Erich Walter

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Stuttgart, 23/11/2003

Er gehörte – zusammen mit Maurice Béjart, Juri Grigorowitsch, John Cranko und Pavel Smok zum großen Choreografen-Jahrgang 1927: Erich Walter, der heute vor zwanzig Jahren in einer Klinik in Herdecke gestorben ist. Inzwischen wissen wir, dass er durch niemanden ersetzt worden ist. In Fürth bei Nürnberg geboren, absolvierte er seine Ausbildung und seine ersten Tänzerjahre in Nürnberg, woran sich Engagements in Göttingen und Wiesbaden anschlossen. Noch nicht 27, wurde er zur Spielzeit 1954/55 Ballettchef in Wuppertal, blieb dort zehn Jahre lang, machte Wuppertal zur Ballettstadt – als noch niemand etwas von einer Pina Bausch gehört hatte – und ging dann als Ballettdirektor und Chefchoreograf an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, der er bis zu seinem Tod angehörte.

An ihn zu erinnern, heißt die Namen der Männer zu nennen, die ihn geprägt haben, mit denen er engstens zusammengearbeitet hat: Heinrich Wendel, der Bühnenbildner, der sein Freund und Lebensgefährte war, Grischa Barfuss, der Intendant, der ihn nach Wuppertal geholt hat und den er dann begleitet hat, als der Chef der Deutschen Oper am Rhein wurde, und Rolf Trouwborst, der als Dramaturg seine Arbeit in Wuppertal und Düsseldorf begleitet hat. Eigentlich gehört noch einer dazu, aber mit dem hat er nie zusammengearbeitet, der ihm als Choreograf leuchtendes Vorbild war: George Balanchine. Ihm hat er nachgestrebt und der von ihm mit dem New York City Ballet entwickelte, eng der Musik verpflichtete Neoklassizismus wurde zu seinem Markenzeichen. Eine Zeitlang fungierten die Namen von Walter und Wendel als ein Synonym, Namen, die nicht mehr einzeln für Choreografie und Bühnenbild (Wendel hat nie Kostüme entworfen) standen, sondern die gemeinsam für die Inszenierung verantwortlich zeichneten.

Die Wuppertaler Jahre waren die Aufbruchsjahre des deutschen Balletts nach dem zweiten Weltkrieg. Damals glaubten wir, dass sich in Wuppertal eine Art deutsches New York City Ballet formieren könnte – noch ganz ohne Balanchine-Choreografien, die zu importieren jenseits unseres Vorstellungsvermögens lag – sozusagen ein Wuppertal City Ballet! Vom musikalischen Anspruch und von der Ästhetik her lagen beide Kompanien gar nicht so weit auseinander. Strawinsky, Bartók und Schönberg hießen die musikalischen Hausgötter des Wuppertaler Balletts, zu denen sich dann bald auch Monteverdi gesellte. Kein einziger der Ballettklassiker des 19. Jahrhunderts war darunter, dafür aber viele Zeitgenossen wie Henze, Fortner, Dallapiccola, Jolivet und Dutilleux.

Anders als bei Balanchine spielte in den Walter-Balletten immer der Bühnenraum eine eminent wichtige Rolle – die von Wendel projizierten Bühnenräume, oft kühne Architekturen, die aber der Choreografie jeglichen Freiraum beließen, in denen sich Walters aus der Musik geborene Tänze wunderbar natürlich entfalten konnten. Die Düsseldorfer Arbeiten Walters und Wendels schlossen sich nahtlos daran an, doch ihre Dimensionen erschienen ins Große gesteigert. Jetzt gelangten auch die großen Ballettklassiker des 19. Jahrhunderts auf der Bühne, die Prokofjews und andere abendfüllende Kreationen etwa zu Musik von Tschaikowsky, Carl Maria von Weber, von Berlioz, Skrjabin und Sibelius, denen bei aller Stilvielfalt eines gemeinsam war: ihre feine musikalische Sensibilität, die auch Walters Choreografien zu Kammermusik auszeichneten.

Es waren alles Ballette, die Walters noble, hocharistokratische Gesinnung bezeugten. Als Walter starb, fiel das Düsseldorfer Ballett in ein tiefes Loch, aus dem es sich erst wieder unter Spoerli an die künstlerische Oberfläche strampelte. Inzwischen sind alle die Männer tot, die das Wuppertal-Düsseldorfer Ballett groß gemacht haben: Walter, Wendel, Barfuss und Trouwborst. Aber ihre Namen leben fort als Repräsentanten eines der wichtigsten Kapitel der deutschen Nachkriegs-Ballettgeschichte.

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