koeglerjournal aufbereitet
Mit spitzer Feder auf Pilgerfahrt für den Tanz
Seit 1975 verleiht die Stuttgarter John-Cranko-Gesellschaft für besondere Verdienste um das Werk ihres Namensgebers den John-Cranko-Preis. Nach all den Tänzern, Intendanten, Ballettmeistern und anderen „Aktiven“ wurde nun mit dem 17. Preisträger zum ersten Mal ein Kritiker ausgezeichnet – wer anders als der „Papst der deutschen Ballettkritik“, der Stuttgarter Journalist Horst Koegler. Überreicht wurde der Preis bei einer schönen, liebevoll organisierten Feierstunde im Foyer des Stuttgarter Opernhauses, zu der von Birgit Keil über Fritz Höver bis zu Daniela Kurz zwar jede Menge deutscher Tanz-Adel erschienen war, wo aber, von manchen erstaunt zur Kenntnis genommen, ausgerechnet Cranko-Erbe Dieter Gräfe fehlte.
Obwohl Koegler bereits 1992 den Deutschen Tanzpreis (und zahlreiche andere Ehrungen) bekommen hat, wird sein großer internationaler Ruhm als Ballettkritiker und Autor zahlreicher Bücher gerade in der Heimat nicht immer so geschätzt, wie er es verdient hätte. Für die Stuttgarter Zeitung schreibt Koegler seit fast fünfzig Jahren, zuerst als freier Journalist, dann von 1977 bis 1992 als Ballett- und Musikredakteur und heute wieder als freier Mitarbeiter. Der Stuttgarter Ballettintendant Reid Anderson erinnerte am Sonntagvormittag noch einmal an Koeglers internationalen Ruf, an seine maßgebliche Rolle etwa in den siebziger Jahren neben Clive Barnes in New York und John Percival in London: „Als ich damals nach Stuttgart gekommen bin, war Horst Koegler schon ein Star. Jetzt ist er ein Superstar“. Charmant wie immer begründete Anderson den Preis am Tag des Oscarverleihung mit einer hollywoodreifen Ansprache: „für Weisheit, für Talent, für Können, für die Liebe zum Ballett, für seinen trockenen Humor – für sein Lebenswerk. And the winner is... Horst Koegler!“
Die Laudatio für den Preisträger hielt Jochen Schmidt, bis vor kurzem der langjährige Tanzkritiker der FAZ und anders als der stets klassisch orientierte Koegler ein Verfechter des modernen Tanzes. Schmidt erinnerte ausführlich an die Kontroversen über Pina Bausch und das Tanztheater, zitierte aus erbitterten Schlagabtäuschen und schwenkte kurz vor der Schmerzgrenze dann doch noch auf eine große Lobeshymne ein. Dann allerdings wusste er gar nicht mehr, was er zuvorderst loben sollte an Koegler – seine Begeisterungsfähigkeit, sein Temperament, dass er die Tanzpublizistik in Deutschland wieder zu einer „seriösen Angelegenheit“ gemacht habe, oder seine absolute Zuverlässigkeit sowohl als Verfasser diverser Lexika als auch beim „Hervorzaubern“ von historischen Fakten und Details in seinen Kritiken, die „niemals sinnloses Wissen“ seien, sondern stets die aktuelle Diskussion erhellen. Und Schmidt ließ uns an seinem Kritiker-Credo teilhaben: „Entscheidend ist allemal, dass einer oder eine ehrlich ist; dass es ihm um die Sache geht; dass er sagt, was er meint und nicht herumeiert oder um den heißen Brei herumschleicht, dass er unabhängig ist und nicht korrupt oder korrumpierbar“.
Ehrlich war Jochen Schmidt, ohne Frage - die von Schmidtscher wie Koeglerscher Seite) saftigen Zitate aus zurückliegenden Kontroversen dürfte sich Koegler mit klammheimlicher Freude und seiner steten Lust auf konträre Meinungen angehört haben. Aber ob es wirklich von großem Stil zeugt, als Laudator bei der John-Cranko-Gesellschaft noch einmal so deutlich zu betonen, dass man John Cranko für einen „wohl nicht so bedeutenden“ Choreografen der Tanzgeschichte hält? Vielleicht war das der Beweis für die Nicht-Korrumpierbarkeit. Wissen wir doch, Herr Schmidt! Wahrscheinlich liegt hier der Unterschied zwischen Koegler und vielen seiner Kollegen – dass er nicht alles sofort mit größtmöglicher Distanz in den weiten Zusammenhang der Tanzhistorie einordnet, sondern dass er den Moment genießt, dass er die Begeisterung (oder manchmal auch das Entsetzen) aus einem Abend mitnimmt und diesen Enthusiasmus am nächsten Morgen so in Worte zu fassen weiß, dass dem Leser genau die gleiche Begeisterung aus seiner Zeitung entgegenspringt (oder von seinem Bildschirm). Oder wie Koegler es einmal beim Lesen einer Kritik formuliert hat: „Ach, bei dem weiß ich nie, ob der den Tanz auch wirklich liebt“.
Horst Koeglers unerschöpfliches Wissen, speziell in der deutschen Tanzgeschichte, seine Archivars-Sammelleidenschaft für alle Bücher, Zeitschriften, Kritiken oder sonstige Veröffentlichungen über Tanz, seine stete Neugier auf andere Meinungen als die eigene, die er nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern geradezu ermutigt, sein militanter Einsatz für die Tanzkritik in den Tageszeitungen (und auch der fürs klassische Ballett in den Fachmagazinen), seine auch nach so langer Zeit als Journalist immer noch brillanter und niemals in Floskeln gefrierender Stil, vor allem aber seine ungebrochene Begeisterung und die immer noch glühende Liebe zum Bühnentanz haben den dauerhaften Maßstab für Tanzkritik in Deutschland gesetzt. Sie dienen all den nachfolgenden Generationen von Tanzkritikern, ob sie nun wollen oder nicht, als Muster und bleibendes Vorbild – nicht zuletzt der Verfasserin dieser Zeilen.
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