Horst Koegler
Horst Koegler

In memoriam ‚oe‘

Pick erinnert sich zum 90. Geburtstag des Tanzkritikers Horst Koegler

Der bekannteste deutsche Tanzkritiker mit dem Beinamen Ballett-Papst, Horst Koegler, wäre heute neunzig geworden. Im Mai 2012 verstorben, bloggte er noch im hohen Alter seine Kritiken im koeglerjournal bei tanznetz.

München, 21/03/2017

Er wäre heute neunzig geworden und seine Besuche anlässlich des Deutschen Tanzpreises, der ihm am 18. Januar 1992 im Grillo Theater Essen verliehen wurde und den er jährlich wiederholte, gaben bis zum Schluss Auskunft darüber, wie sehr der Zahn der Zeit an ihm nagte. Er war bis zu seinem Ende aber geistig höchst wach, wenn auch das Gehen und längere Unterhaltungen wegen seiner Hörschwäche für ihn doch sehr mühsam wurden.

Ab dem Moment, an dem man anfing, sich für den Tanz zu interessieren, gab es kein Entrinnen vor Koegler mit dem Beinamen Ballett-Papst, den er sich redlich verdient hatte. Er war (vergleichbar mit Marcel Reich-Ranicki auf dem Gebiet der Literatur) bei Andersgläubigen – und das waren viele schöpferische Menschen – durchaus verhasst. Wie er wirklich zum bekanntesten deutschen Tanzkritiker wurde, der sowohl in amerikanischen wie englischen Tanzmagazinen gedruckt wurde, hat sich mir entzogen, denn das hat sich vor meiner Zeit entwickelt. Wenn mich nicht alles täuscht, arbeitete er sogar in Frankreich, denn er tröstete mich mal nach einem Wettbewerb in Paris/Bagnolet.

Aber auch ‚oe‘ hat natürlich nicht gleich oben angefangen. Zunächst landete er nach der Flucht aus dem Osten in der Vier-Mächte-Stadt Berlin und versuchte als Musikkritiker sein tägliches Brot zu verdienen. Das war nicht nur nicht leicht, sondern auch schlecht bezahlt. Zu essen gab es ja sowieso nichts, man hungerte sich durch. Tänzer interessierten ihn allerdings schon sein ganzes Leben lang, und als er bemerkte, dass sich auf dem Gebiet etwas entwickelte, ließ er sich bei Tatjana Gsovsky sehen und beiseite nehmen, um auch wirklich in die Materie einzudringen. Er war ein außerordentlich gewissenhafter und fleißiger Mann von A bis Z, mit dieser kleinen künstlerischen Ader, die er allerdings nie raus ließ.

Ich werde nie vergessen, wie er mich eines Tages (wahrscheinlich im Theater in Köln) ansprach und mir sagte, dass er sich verabschieden werde, aus dieser doch von ihm sehr geschätzten Kölner Tanzszene, die von anderen Kritikern sehr beeinflusst wurde, und ob ich zu seinem Abschied nicht vorbeikommen wolle. Auf meine Frage, wieso und wohin er sich bewegen werde, war seine Antwort: „Stellen Sie sich vor, ich habe ein Angebot nach Stuttgart, in meinem fortgeschrittenen Alter kriege ich tatsächlich noch eine feste Anstellung, als Ressortchef.“ Bis dahin war er immer freier Autor diverser Tageszeitungen gewesen, auch ein Mitstreiter von Kurt Peters und seiner Gisela Peters-Rohse, bei der Zeitschrift seines Tanzarchivs. Ich glaube, Horst Koegler wurde dort auf mich aufmerksam, wie auch sein damaliger Freund, der ebenfalls nach Stuttgart ging und bei der Konkurrenz, den Stuttgarter Nachrichten, einen ähnlichen Job bekam. Sie konnten dann später ihre Feindschaft öffentlich ausleben. Das war möglich geworden durch das von John Cranko hervorgebrachte Stuttgarter Ballettwunder, durch das sich Leser nun für das Ballett interessierten und den fleißigen Kritiker ein gutes Auskommen mit Tagesgeschäft, Lexika bei Reclam und Knauer usw. bescherten. Das war allerdings mit viel Arbeit verbunden, denn da ist die Recherche, die eigentlich nie aufhört.

Übrigens war der Aufhänger für die Vergabe des Deutschen Tanzpreises an Koegler das Ballettlexikon, das auch in England bei Pinguin erschien und noch heute up to date gebracht wird. Im Vorstand war man bei der Wahl unterschiedlichster Meinung und es gab danach vor allem Mitglieder des Pädagogen-Verbandes, die sich weigerten zum Tanzpreis zu erscheinen. Das war aber typisch: Koegler polarisierte immer, und wie alle großen Kritiker hatte er seine Lieblinge und solche, die es nie werden würden. John Neumeier war ein Auserwählter und Koegler hat als erster auch Pina in Wuppertal entdeckt mit ihrem Bacchanal im „Tannhäuser“ (er schrieb als Opernkritiker darüber, man könne nach dem 1. Akt gehen, der Rest sei nicht sehenswert ...). Später allerdings konnte er ihr nicht mehr folgen und schrieb: „Ich habe diesen Wohnküchenmief jetzt wirklich satt.“ Er war ein Bewunderer von Hans van Manen und blieb dies bis zum Schluss, als Hans ihm seinen „Sacre“ widmete, was er nicht recht einsah, warum ausgerechnet dieses Stück.

Mit Cranko verband ihn ebenfalls eine sehr große Zuneigung, was ihn aber nicht davon abhielt, nach großen Erfolgen bei ihm Haare in der Suppe zu suchen und zu finden, was Cranko sehr traf. Anne Wooliams, die damals ja Crankos rechte Hand war und wohl auch gern seine Nachfolge angetreten hätte, sagte einmal zu mir in dieser Übergangszeit: „John ist zum rechten Zeitpunkt gestorben, denn die Kritiker haben begonnen, ihn abzusägen“.

Tatsächlich gab es solche Vorkommnisse. Ein Paradebeispiel dafür war Giese Furtwängler aus der recht verzweigten Künstlerfamilie dieses Namens, die in Münster von allen Kritikern in höchste Höhen gehoben wurde und dann, als man ihr den Weg an die Kölner Oper geebnet hatte, sie bald fallen ließ. Nachdem sie verschwunden war, versuchte sie sich nur noch einmal kurz in Krefeld/Mönchengladbach. Kritik ist natürlich immer eine subjektive Meinung, für die man kaum Beweise finden kann und selbst wenn es Regeln gäbe, nach denen zu „urteilen“ wäre, wie im Fußball, gäbe es doch immer wieder Fehlentscheidungen und die tun weh.

Ich glaube, Koegler hat nie öffentlich über mich geschrieben, aber er kam zu einer Vorstellung nach Filderstadt, wo wir ein gemischtes Programm aus dem Kleinen Haus in Ulm mit „Wälsungenblut“ tanzten. Er schrieb mir einen Brief, in dem er meine Arbeit lobte, jedoch meinte, es wäre besser gewesen, wenn ich ein leichteres Stück am Schluss gewählt hätte. Ich war natürlich nicht seiner Meinung, aber mit zunehmender Reife habe ich erkannt, wie und warum er das schrieb. Er war übrigens auch schuld daran, dass ich die Uraufführung von „Desdemona und Othello“ in Aachen machte. Anlässlich seines Abschieds aus Köln stellte er mir Gerald Humel vor, der noch eine Partitur in der Schublade hatte – eigentlich hatte er sie für Neumeier geschrieben, der aber hatte sie abgelehnt. Immerhin: Klaus Geitel reiste aus Berlin an und Jochen Schmidt blieb im Schnee stecken. Geitel aber fand, José Limón hätte das Stück doch viel kurzweiliger hingekriegt (es ist ja weder ein Abendfüller noch eine zeitgenössische Musik).

Jetzt möchte ich aber Koegler meine ganz große Bewunderung erweisen. Als er nämlich von der Stuttgarter Zeitung, wo er gegen Ende vor allem Musikkritiken zu schreiben hatte, in den Ruhestand ging (was in Wirklichkeit natürlich keiner war), entdeckte er Nina Hümpels tanznetz und startete dort sein koeglerjournal. (Vielleicht möchte sie selbst einen Satz dazu schreiben, wie es dazu kam.) Er erzählte mir jedenfalls, dass er jetzt im Internet blogge und ihm das viel Spaß mache, weil er da wirklich ganz Herr über seine Erzeugnisse sei, was er immer gewollt hatte. Damit sei er besonders zufrieden. Zu der Zeit wusste ich weder was ein Blogger ist, noch wo und wie man das lesen kann. Später habe auch ich herausgefunden, wie das Internet zu finden ist und jetzt schreibe ich selbst in memoriam Horst Koegler mit oe. Wir werden ihn sicherlich nicht vergessen!

 

 

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