Vladimir Malakhov kündigt seinen Rücktritt an
Vladimir Malakhov verlängert seinen Vertrag als Intendant des Staatsballetts Berlin nicht über die Spielzeit 2013|2014 hinaus.
Ballettintendant Vladimir Malakhov über seine Pläne mit dem Staatsballett Berlin
Derweil sich das Land im spätsommerlichen Glanz sonnt, laufen in den Räumen das Staatsballetts Berlin die Proben bereits auf vollen Touren. „Vier Produktionen studieren wir parallel ein, mancher Tänzer ist da 12 Stunden pro Tag eingespannt“, berichtet Vladimir Malakhov sachlich mit der Tänzern eigenen Disziplin. Viel Zeit, über die neue Situation nachzudenken, bleibt da niemandem: „Wir wachsen über die Arbeit zusammen“, freut sich der frisch gekürte Ballettintendant. Zwischen zwei Proben, die ihn als Tänzer beanspruchen und gleichsam seine Aufmerksamkeit als künstlerischer Leiter fordern, erläutert er, noch im saloppen Trainingszeug, die Konstruktion jenes Staatsballetts, das Berlins Theatertanz den Anschluss an internationales Niveau bringen soll.
Am Anfang stand die Stiftung Oper in Berlin, ins Leben gerufen am 1. Januar 2004. Neben den drei Opernbetrieben der Stadt gehört als vierte autonome Einrichtung das Staatsballett Berlin unter dieses Dach. Hervorgegangen ist es theoretisch aus den drei hauseigenen Kompanien. Praktisch haben indes nicht alle Bewerber die hoch angesetzte Latte für den Eintritt überspringen können. Zu den 48 Tänzern der Staatsoper kamen 20 „Ehemalige“ aus der Deutschen Oper, ein Tänzer aus der Komischen Oper, zwei Eleven sowie über 20 neuengagierte Kollegen aus aller Welt, „ohne Berliner Vergangenheit, viel frisches Blut also“. Dass diese 93 Tänzer, die ab der nächsten Spielzeit auf die Sollstärke von 88 reduziert werden, bereits als Ensemble funktionieren, sehen alle Beteiligten als hoffnungsvolles Zeichen.
BerlinBallett hieß jahrelang das Zauberwort, mit dem das Berliner Ballett in die künstlerische Offensive geführt werden sollte. Ist Staatsballett jetzt lediglich ein anderes Wort dafür? „Überhaupt nicht“, sagt Vladimir Malakhov demonstrativ, „das BerlinBallett kam ja nicht zustande und hätte außerdem drei separate Kompanien vorgesehen. Wir arbeiten aber mit einem einzigen, vergrößerten Ensemble.“ Seinen Sitz nimmt das Staatsballett in der Lindenoper, sein Name schließt, das gemeinsame Alter von über 250 Jahren beschwörend, an Staatsoper und Staatskapelle an. Zunächst die zwei Häuser Unter den Linden und an der Bismarckstraße kontinuierlich und stilistisch unterschiedlich zu bespielen, dem Tanz ein breiteres Publikum zuzuführen, mehr Gastchoreografen einzuladen, umreißt der Weltstar auf dem Intendantenthron seine künstlerische Vision.
Auf die Klassiker von „Giselle“ bis „Schwanensee“ soll dabei die Lindenoper spezialisiert bleiben, neoklassische Abende werden an der Deutschen Oper mit ihrem höheren Platzangebot zu sehen sein. „Die größte Kompanie des Landes muss auch zu den führenden in der Welt gehören“, nennt Malakhov selbstbewusst ein weiteres seiner ehrgeizigen Ziele. Es sei angenehm, mit der verjüngten Mannschaft zu arbeiten, lobt er: „Tänzer entwickeln sich heute doppelt so rasch wie noch vor Jahren, und auch ihre Karriere ist meist kürzer als früher. Deshalb lechzen sie danach zu tanzen.“ „Tolle Begabungen“ seien darunter, mit Charisma und Flexibilität auch für moderne Stilistiken. „Jeder hat seine Zeit“, fügt er mit beinah biblischer Prophetie hinzu.
Dass er die künstlerische und wirtschaftliche Verantwortung für alle Ballett- und Tanzproduktionen sowie für die auswärtigen Gastspiele auf den Bühnen der Opernstiftung trägt, ist Vladimir Malakhov durchaus bewusst. In dieser Feststellung, wie sie sinngemäß in der Satzung jener Stiftung verankert ist, stecken zahllose Einzelaufgaben und wohl auch einige Fußangeln, was die praktische Umsetzung betrifft.
Während die Intendanten der Lindenoper und der Deutschen Oper zu ihren Verpflichtungen stehen, hält sich die Komische Oper derzeit noch vornehm zurück. Einvernehmlich, so heißt es, müssen ihr Intendant und Ballettintendant Malakhov sich auf Spieltermine und künstlerische Inhalte einigen, damit sich auch die Bühne an der Behrenstraße dem Staatsballett öffnet. Malakhov hätte da bereits einige Ideen. Gut 100 Vorstellungen pro Spielzeit werden sich zunächst auf die beiden anderen Häuser verteilen, 57 Unter den Linden, 46 an der Bismarckstraße. Die jeweiligen Opernbetriebe stellen dazu ihre Räumlichkeiten - Bühne, Garderoben, Probensäle - zur Verfügung, und auch die Verfügbarkeit der beiden Hausorchester ist durch die Stiftungssatzung geregelt. Mit rund 12 Millionen Euro kann das Staatsballett künftig eigenverantwortlich wirtschaften, wovon knapp 8,2 Millionen reine Zuwendungen aus öffentlicher Hand sind und das - auf eine durchschnittliche Auslastung von 55 Prozent berechnete – Einspielsoll bei 3,4 Millionen liegt. Bei einer Auslastung von 83,1 Prozent im ersten Halbjahr 2004 bereitet die Lindenoper einnahmeseitig kaum Probleme.
Für die Deutsche Oper mit einer Besucherzahl von 46,2 Prozent im selben Zeitraum bedarf es indes erheblicher Anstrengungen, um die Zuschauer wieder anzulocken. Jene magischen 12 Millionen Euro müssen alle direkt zuzuordnenden Ausgaben des Staatsballetts finanzieren: vom künstlerischen Personal und den 20 übrigen Mitarbeitern bis zu den Logenschließern und der Stückausstattung. Hierzu werden zunächst die Dienste des aus den Opernhäusern ausgegliederten, künftig nicht mehr subventionierten Bühnen-Service-Betrieb, Technik und Werkstätten umfassend, genutzt. „Wir alle müssen knapp kalkulieren“, sagt Malakhov.
Den Zuschauer interessiert freilich zuvörderst die Bühnenpräsentation des Staatsballetts. Vergleicht man die Zahl seiner Tänzerpositionen mit einer ähnlich gelagerten Kompanie wie Paris, wo für die Vorstellungen im Palais Garnier und in der Bastille-Oper rund 160 Tänzer verfügbar sind, dann klingt 88 relativ bescheiden. Von den etwa 210 Tänzern beim Kirov-Ballett oder den 230 beim Bolschoi Moskau, die zeitgleich im eigenen Haus und auf Tourneen dasselbe Repertoire geben können, ganz abgesehen. Vladimir Malakhov bringt auch das nicht aus seiner positiven Sicht: „Ich bin glücklich, jetzt immerhin 88 Tänzer zu haben und ihnen das ganze Jahr über reichlich zu tun geben zu können.“
Basis des Staatsballetts bleibt die Lindenoper, Training und Proben finden ebenso aber auch in den Sälen der Deutschen Oper statt. Für die Tänzer bedeutet das höhere Mobilität, von einem Ort an den anderen zu kommen. „Durch kluge Planung versuchen wir, diesen Aufwand erträglich zu halten und entsprechende Ruhezeiten einzubedenken“, verspricht die stellvertretende Ballettintendantin Christiane Theobald, die als Betriebsdirektorin auch für die organisatorischen Abläufe zuständig ist. Ein im Ausbau befindliches drittes Studio an der Lindenoper wird überdies Engpässe im Probenprozess verhindern helfen.
Spricht Vladimir Malakhov von den künstlerischen Vorhaben mit „seiner“ Kompanie, beginnt es sofort aus ihm herauszusprudeln. Der seit Jahren erfolgreiche „Schwanensee“ von Patrice Bart leitete vor wenigen Tagen die erste Saison des Staatsballetts ein – bei so vielen neuen Tänzern beinah auch eine neue Einstudierung. Parallel dazu liefen die Proben für Angelin Preljocajs neobarocke Impression „Le parc“, die im Haus an der Bismarckstraße 2000 ihr Berlin-Debüt erlebte und dort auch bleiben wird, in wenigstens drei verschiedenen Besetzungen.
Nadja Saidakova und Wieslaw Dudek werden am 12. September in der Wiederaufnahme-Premiere die Hauptrollen tanzen. Bald darauf, am 29. September, folgt ein Strawinsky-Programm aus Uwe Scholz‘ „Feuervogel“ und Preljocajs vieldiskutiertem „Sacre du printemps“. Glamour werden diesem Abend zwei Künstler der Sonderklasse verleihen: Vladimir Malakhov tanzt einleitend – und am Piano begleitet von Daniel Barenboim, dem Dirigenten des Abends – das Solo „Voyage“, das Renato Zanella nach dem Adagio aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 für ihn entworfen hat.
Exakt einen Monat später, am 29. Oktober, erlebt an der Bismarckstraße eine der wohl monumentalsten Ballettschöpfungen des 20. Jahrhunderts ihre Wiederaufnahme: Maurice Béjarts geniale Wagner-Paraphrase „Ring um den Ring“. Übers Jahr verteilt schließen sich als weitere Premieren ein vierteiliges Balanchine-Programm (28. Mai) und – erstmals auf dem Berliner Spielplan – Kenneth MacMillans Welterfolg „Manon“ (22. April) an, flankiert von der „Bajadere“ und dem „Nussknacker“ über den „Lindentraum“, die „Schneekönigin“ und „Onegin“ bis zu einem Kylián-Abend als Säulen eines vielfältigen Angebots.
Befragt nach Gastchoreografen, nennt Malakhov David Parsons und Mark Morris als renommierte Vertreter zeitgenössischen Tanzes, den jungen australischen Shootingstar Stanton Welch, würde gern jungen Talenten des New York City Ballet die Bühne der Komischen Oper anbieten, John Neumeier einladen, könnte sich Pina Bauschs „Sacre“-Version für das Staatsballett vorstellen und denkt über „eine Kooperation mit William Forsythe“ nach, der ja unweit, in Hellerau bei Dresden, eine seiner zwei künstlerischen Residenzen haben wird.
Zunächst geht indes das Staatsballett mit „Bajadere“ und „Ring“ auf Gastspiel nach Japan, „eine Menge weiterer Angebote liegen bereits vor“, deutet er verschmitzt funkelnden Auges an. Und lächelt noch hintergründiger auf die Frage, unter welchen Umständen er seinen auf fünf Jahre befristeten Intendantenvertrag verlängern würde: „Wenn die Unterstützung nicht nachlässt und ich mehr Entscheidungsfreiheiten bekomme.“
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