„Metamorphose“ als Ballettfinale an der Komischen Oper

Schwanengesänge

Berlin, 24/04/2004

Die gläserne Fassade eines spitzgiebeligen Gewächshauses dominiert die Bühne, kleinere Glaswände tauchen versetzt zu beiden Seiten auf. Spröde wie Glas ist auch die Stimmung über der Szene, als zu aufflackernden Streichern einzelne Frauen Fetzen von Bewegung hinwerfen. Ein Mädchen erklimmt die Glasmauer, legt sich auf diesen schmalen Grat. Mehr nur als Warten passiert in der vom Kostüm bis zum Wandsockel blauen Weite erst, als Männer mit Hut herbeischlendern. Geschmeidig wirbelnde, raumgreifende Soli mit separaten Kopfkreisen und Körperspiralen, Duette mit fliegenden Hebungen ereignen sich. Je zwei Frauen setzen zu unterschiedlichen, extrem verzögerten Parallelabläufen an, brechen jedoch vor der Zeit ab. Die sich anbahnenden Beziehungen sind eher von Furcht vor dem anderen und Bedrängnis geprägt. Einem Paar nur gelingt es, nach Kampf und Gewalt zu Erfüllung und Geborgenheit vorzudringen. Matter werdendes Licht schluckt zu verhallender Musik die Einzelwesen. Mit einer düsteren Fantasie über die Beziehung der Menschen und Geschlechtern, vor der Projektion von Herbst- und Winterlandschaften, stellt sich bei der letzten Tanzpremiere an der Komischen Oper die in Skandinavien renommierte Norwegerin Ingun Björnsgaard vor, deren eigene Osloer Gruppe bereits in Potsdam, Berlin und Hamburg zu sehen war. Kompositionen von Luigi Nono und George Crumb flankieren Schuberts live musiziertes Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“. Konkrete Rollen sieht Björngaards gleichnamige Uraufführung indes nicht vor, und auch tänzerisches Material bietet sie ihren zehn Tänzern nicht die Fülle: Die Gesamtatmosphäre triumphiert über den ausgefeilten, sinnträchtigen Gehalt.

Mehr noch gilt das für „@ north“, den zweiten, gleichsam 45minütigen Teil des Abends. Die Australierin Meryl Tankard, ein Jahrzehnt Aktrice bei Pina Bausch, ein knappes weiteres Leiterin des Australian Dance Theatre in Adelaide, fegt dazu die Bühne leer und schafft mit wechselnden Rundum-Projektionen, von Wasser über Pflastersteine, Blumenarrangements und Schmetterlinge bis zu Gitterraster und Gestrüpp, stetig sich verändernde Räume, deren besonderen Effekt Spiegelbildlichkeit ausmacht. Um eine weibliche Gestalt im Zentrum gruppiert die Choreografin in verschiedenster Konstellation ihre 12 Tänzer, lässt sie nach Luft schnappende Fische, vorwärtsstürmende Menschen, Streithähne, Betschwestern sein. Möwen flattern girrend umher, ein Mann darf als Vogel gehetzt hüpfen, sein wiederholtes Sterben wird johlend beklatscht. Als die weiße Zentrumsgestalt sich häutet und zu einer aufragenden Drohung in Schwarz wird, ist alle Ruhe dahin. Ein hängender bunter Fisch wird geräuschvoll mit Stöcken zertöppert, eine irre Welt gerät in Selbstlauf und Chaos. Jede Ordnung scheint ausgehebelt, jedes System zerstört. Da erstickt Schnee alles Treiben. Tankard arbeitet mit Extremen und Zuspitzungen, setzt auf den dynamischen Wechsel zwischen Stille und Turbulenz, nutzt ausgiebig die Drehbühne. Bisweilen gelingen ihr starke Bilder, etwa wenn sie die Tänzer im Handstand als Skulpturen herumfahren lässt oder wenn sie die Männerriege kampfsportlich vehement über die Diagonale jagt. Wer die tänzerischen und tanztheatralen Fragmente, getragen von allerlei Weltmusik, zu einer Bedeutung über die energetische Einheitssuppe hinaus montieren möchte, wird auf sich selbst geworfen sein. „Metamorphose“ nennt sich diese letzte Premiere und meint das, eher zufällig, auch übertragenen Sinns. Denn hin zu einem tanzfreien Haus wandelt sich ab der neuen Spielzeit die Komische Oper. Damit findet ein zehnjähriger Sterbevorgang sein Ende, der, nach Tom Schillings anregender 25jähriger Ägide, mit der Ära Marc Jonkers anhub. Ignorant suchte er den radikalen Bruch mit der Vergangenheit des damaligen Tanztheaters, holte Drittklassigkeit ans Haus, vertrieb die angestammte Zuschauerschaft, ohne eine neue, experimentierfreudige gefunden zu haben.

Fünf Jahre durfte er werkeln, ehe ihn der Bannstrahl der Nichtverlängerung des Vertrags traf. Weder sein Kurzzeit-Nachfolger Richard Wherlock, der sich der Berliner Herausforderung nicht stellen wollte oder konnte, noch Blanca Li als letzte Hauschoreografin vermochten den künstlerischen Niedergang des zum BerlinBallett avancierten, personell reduzierten Ensembles aufzuhalten. Lis unsägliche Schöpfungen setzten lediglich den Endpunkt. Adolphe Binder als jetzige Leiterin übernahm 2002 eine bereits todgeweihte Kompanie. Dabei hat sie mit ihrem Konzept, das Haus internationalen Choreografen des zeitgenössischen Tanzes zu öffnen, durchaus Erfolge zu verbuchen, so mit Rami Be’ers „Screensaver“. Zeit hätte sie gebraucht, um etwas aufzubauen, und gerade die blieb ihr nicht, zumal auch der Zuschauerstrom versiegte – trotz einer aggressiven Marketingoffensive im Endspurt. Dass rund drei Viertel der Tänzer ein neues Engagement gefunden hat, ist die gute Nachricht. Dass zeitgenössischer Tanz in Berlin fortan auf wesentlich schwächerem Niveau zu sehen sein wird, die schlechte. Es sei denn, das Staatsballett unter Vladimir Malakhov vermag bei der zukünftigen Bespielung der Komischen Oper auch diese Lücke zu schließen.

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