Nachgeholt mittels Video-Aufzeichnung: Vladimir Malakhovs Berliner „Cinderella“

oe
Stuttgart, 06/04/2004

So viele Aschenbrödel, Cinderellas, Soluchkas und Cendrillons. Angefangen von Sacharow via Sergejew, Ashton, Victor Gsovsky, bis zu Maguy Marin, Nurejew, Neumeier und Spoerli – die historischen Vorläufer von Petipa/Iwanow/Cecchetti, Haßreiter und Fokine nicht gerechnet. Auch in Berlin hat es in den letzten Jahrzehnten bereits drei verschiedene Versionen des Prokofjew-Balletts gegeben (wenn ich richtig gezählt habe – vielleicht waren‘s ja auch noch mehr): 1968 von Tom Schilling, 1977 von Valeri Panow und 1996 von Roberto de Oliveira. Und nun also zum vierten Mal von Vladimir Malakhov an der Staatsoper (dagegen immer noch keine „Steinerne Blume“ – nicht einmal zu Lilo Grubers Zeiten unseligen Angedenkens).

Wahrscheinlich ist keine dieser früheren Berliner Prokofjew-„Cinderellas“ so gut getanzt worden wie die neue Version von Malakhov. Denn das muss man dem Staatsopern-Ballettchef lassen: er hat seine Kompanie bereits in der zweiten Spielzeit ganz fabelhaft in den Griff bekommen. Sie tanzt heute in der ersten Reihe der Bundesliga der deutschen Opernballette, und die Frage ist nur, wird sie am Ende der Spielzeit als Äquivalent zu Werder Bremen, Bayern München oder VfB Stuttgart dastehen? Mit einer so liebenswerten, charmanten, ausdrucksstarken, technisch so makellosen Ballerina namens Polina Semionova, die in Berlin zwar nur als Erste Solistin fungiert, die ich indessen, wäre ich Ballettchef, auf der Stelle als Primaballerina mit einer Verlängerungs-Option als Primaballerina assoluta nach Stuttgart engagieren würde (und ihren Partner Artem Shpilevsky, einen wahren Apollo-Adonis, gleich mit).

Das ist das Beste, was sich von Malakhovs „Cinderella“ sagen lässt. Denn choreografisch bietet sie nicht viel mehr als solide Ballettmeister-Routine. Wobei man noch darüber streiten mag, ob Berlin unbedingt die seit London praktizierte Besetzung der beiden Stiefschwestern en travestie (die an der Themse ihre Berechtigung aus der Pantomimen-Tradition herleitet) fortführen musste. Ich kann mich jedenfalls für diesen schrillen Klamauk nicht begeistern – auch wenn ihre beiden aufgetakelten Protagonisten Malakhov und Ronald Savkovic heißen.

Wenn Malakhov seine Inszenierung als Traumerlebnis interpretiert wissen möchte, sollte er vorher einen dramaturgischen Nachholkurs bei Neumeier in Hamburg absolvieren. Und wenn er den Stoff ins Ballett- und Theaterproben-Milieu transferieren will, sollte er vielleicht auf dem Rückweg von Hamburg nach Berlin noch ein paar Tipps bei Spoerli in Zürich mitnehmen. So allerdings, wie er für Berlin seine Inszenierung aufbereitet hat, präsentiert sie sich in Jordi Roigs Ausstattung (mit der bemerkenswert hässlichen Kostümierung Cinderellas am Anfang mit ihren bis übers Knie reichenden Unterhosen, den nackten Armen der Männer, den Lady-Di-Perücken für die Damen und dem Lunapark-Pavillon) als eine Glitzer-Revue bar jeder Poesie. Ever so sorry!

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