Allrounderin
Archivalie November: Beleuchtungsskizze von Tatjana Gsovsky
Die Buchdokumentation: „Tatjana Gsovsky - Choreografin und Tanzpädagogin"
Sie hat fast so lange warten müssen wie die Bundesrepublik mit ihrem Ersuchen um Aufnahme in den Sicherheitsrat der UN. Doch zwölf Jahre nach ihrem Tod ist er endlich erschienen, der lange erwartete, von der Stiftung Archiv Akademie der Künste in Berlin gesponserte Dokumentationsband „Tatjana Gsovsky – Choreografin und Tanzpädagogin“ (konzipiert und zusammengestellt von Max W. Busch, 328 Seiten, mit 300 zweifarbigen Abbildungen, Euro 49,90, ISBN 3-895812-105-X). Es ist ein großartiges Buch geworden, würdig ihrem Ruf als Galionsfigur des Berliner und deutschen Nachkriegsballetts.
Kann ich es überhaupt empfehlen, da ich doch selbst darin mit zwei (von immerhin über dreihundert) Seiten vertreten bin (und das nicht etwa mit einem Originalbeitrag, sondern lediglich mit einem Nachdruck meines Nachrufs)? Sei‘s drum! Großzügig aufgemacht, besticht es zunächst einmal durch die Fülle der Abbildungen – was für Erinnerungen da hochkommen, gerade auch durch all die vertretenen Fotografen, vom Atelier Robinson über Willy Saeger, Heinz Köster, Ilse Buhs und Annemarie Heinrich (wichtig für die Gastspiele in Buenos Aires) bis zum unvergessenen Siegfried Enkelmann. Dann aber vor allem durch die ganz unglaublich vielen Eigenbeiträge aus der Sammlung T. G. – Notizen, Skizzen, Zeitungsartikel bis zur kompletten Produktionskonzeption des „Idioten“.
Auf das Vorwort von Max W. Busch (dem wir ja auch die exzellenten Dokumentationen über John Neumeier und das Hamburger Ballett und den Erinnerungsband an Jean-Pierre Ponnelle verdanken) folgen die umfangreichen, mit vielen unbekannten Details aufwartenden Erinnerungen von T. G., dann die ausführlich (meist durch Kritiken) dokumentierten Teile über die einzelnen Werke sowie über ihre Berliner Schule für Bühnentanz, woran sich die persönlichen Statements von Koryphäen der deutschen und internationalen Tanzszene anschließen, von Mary Wigman, Harald Kreutzberg und Dore Hoyer bis zu Yvette Chauviré, Hans Werner Henze und Konstanze Vernon (die während ihrer Ausbildung bei T. G. noch Herzfeld hieß).
Ein ausführliches Kapitel von Busch ist dem „Berliner Ballett“ gewidmet, und es ist nicht ohne Faszination, an die Turbulenzen erinnert zu werden, die diese immer wieder aufgelöste und immer wieder neu gegründete Kompanie begleitet haben. Individuelle Perspektiven zur Persönlichkeit von T. G. und ihrem Oeuvre steuern dann Walter Jens und, sehr liebevoll und verständnisinnig, Klaus Geitel sowie Dietrich Steinbeck bei, der sie in zahlreichen Rundfunk-Interviews befragt hat. Vermissen tue ich allerdings ein umfangreiches Gespräch mit Gert Reinholm, der ja über lange Jahre der tänzerische Ausdruck ihres Willens war, und der seit ihrem Tod als Lordsiegelbewahrer ihrer Sammlung und ihres Vermächtnisses waltet. Wahrscheinlich wäre er auch der einzig noch Überlebende, der Licht in das von Lilian Karina und Marion Kant in ihrem Buch „Tanz unterm Hakenkreuz“ insinuierte Gerücht von T. G.‘s Verstrickung in die Zwangsemigration Viktor Gsovskys bringen könnte.
Auch hätte ich mir einen ausführlichen Beitrag von Michael Heuermann gewünscht, und zwar über das Thema seiner Dissertation „Tatjana Gsovsky und das ‚Dramatische Ballett‘. Der ‚Berliner Stil‘ zwischen ‚Der Idiot‘ und ‚Tristan‘“, die er 2001 vorgelegt hat. Im Anhang gibt es dann noch ein detailliert aufgeschlüsseltes Werkverzeichnis sowie Dokumentationen über ihre Film- und TV-Arbeit, ihre Funk- und Fernsehinterviews, ihr Wirken als Mitglied der Berliner Akademie der Künste und eine Auflistung der Tourneen und Auftritte des „Dance Theater Berlin“ (in den USA und Kanada) und des „Berliner Ballett“ in Europa, Asien, Japan und Afrika. Es ist also wahrlich ein „All About Tatjana“-Band geworden – unverzichtbar für alle, die sich über das Nachkriegsballett in Berlin und Deutschland informieren wollen. Kompliment an alle, die mit seiner Herstellung befasst waren!
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