Der Mann, der wie kein anderer das Ballett im Nachkriegsberlin repräsentierte

Zum Tod von Gert Reinholm

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Stuttgart, 15/12/2005

Er war Hamlet, Romeo und Othello, Apollo und Orpheus, Tristan und Don Juan, Daphnis und Pelléas, Armand (in der „Kameliendame“) und Dr. Schön (in „Lulu“) – blaublütig allerdings war er nicht, und so erinnert man sich kaum an seinen Prinzen Florimund. Indessen: kann man sich als Tänzer mehr wünschen? Er war Tänzer, Pädagoge, Ballettdirektor und Statthalter, selbstloser Diener vieler Herren, aber nur einer Herrin mit Leib und Seele ergeben: Tatjana Gsovsky, die ihn zu dem gemacht hat, der er wurde: Berlins Ballett-Repräsentant. Jetzt ist er in Berlin gestorben, eine Woche vor seinem 82. Geburtstag: Gert Reinholm. Wenigstens hat er noch miterlebt, dass das große Buch über „Tatjana“ erschienen ist, das zur Chronik auch seines Lebens geworden ist.

Aus Chemnitz gebürtig, ein Sachse vom Rande des Erzgebirges, das so viele bedeutende Tänzer hervorgebracht hat (und deshalb zeitweise das deutsche Andalusien genannt wurde), war er noch im Krieg als Eleve nach Berlin, an die Staatsoper Unter den Linden gekommen, wo er seine Karriere begann, die ihn sofort nach 1945, damals gerade zweiundzwanzig, an der Seite von „Tatjana“ zum Berliner Tänzeridol der späten vierziger, fünfziger und sechziger Jahre werden ließ. Mein Gott, was waren das für Zeiten! Wie aufregend waren die damaligen Ballettpremieren! Reinholm an der Seite von Natascha Trofimowa, dann auch von Gisela Deege, die seine Traumpartnerin wurde.

Mit „Tatjana“ ging er 1951, als die politischen Verhältnisse im Osten der Stadt unerträglich wurden, in die Emigration, ans Teatro Colón nach Buenos Aires, von wo er 1953 im Triumph zurückkehrte – nun an die Städtische Oper in Charlottenburg, die dann als Deutsche Oper Berlin vom Zoo an die Bismarckstraße übersiedelte. Daneben avancierte er zum Startänzer des Berliner Balletts, mit dem er durch die Lande zog als tänzerischer Botschafter Westberlins – eine Kompanie, deren Existenz einer Fieberkurve glich, die zwischen Euphorie und Koma hin und her jagte. Als es dann mit seiner Tänzerkarriere zu Ende ging, wurde er „Tatjanas“ Statthalter an der Deutschen Oper, Ballettdirektor, als der er die internationale Choreografen-Prominenz ans Haus holte, dann trat er in den Hintergrund, arbeitete er Kenneth MacMillan, John Taras und auch noch Peter Schaufuss zu und konzentrierte seine außerhäusigen Aktivitäten als Professor auf den Unterricht an der von ihm geleiteten Berliner Tanzakademie als Teil der Hochschule der Künste.

Den Niedergang des Tanzes im Berlin der achtziger Jahre verfolgte er mit Beklemmung, witterte noch einmal eine große Chance nach 1989, als es ihm gelang, Baryschnikow nach Berlin einzuladen und ihn mit der Ballettsituation in der wiedervereinigten Stadt vertraut zu machen. Baryschnikow war durchaus aufgeschlossen für die Chancen eines Neubeginns – allein die Zögerlichkeit der Politiker vereitelte die schon recht weit gediehenen Zukunftspläne. Über die Chancen Malakhovs wollte er sich bei unserer noch nicht gar so lange zurückliegenden letzten Begegnung nicht näher auslassen, bat aber dringend telefonisch um eine Fortsetzung unseres Gesprächs, zu der es nun leider nicht mehr kommen wird. Ein Ehrenplatz in der Berliner Ballettgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist ihm jedenfalls sicher.

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