Ordnung(en)
Fotoblog von Ursula Kaufmann
Als Ivan Liska von der Europa-Tournee der Limón Dance Company hörte, griff er sofort zu. Er hat selbst schon unter Carla Maxwell, die die New Yorker Trupppe seit 1978 leitet, als Gast getanzt, und wie sehr er den Modern Dance des 1908 geborenen und 1972 gestorbenen José Limón schätzt, kam darin zum Ausdruck, dass er in seiner ersten Spielzeit als Direktor des Bayerischen Staatsballetts für die fünfteilige Premiere des Jahres 1998 mit „Chaconne“ und „The Unsung“ gleich zwei wichtige Limón-Werke wählte. So wurden am gestrigen Dienstag statt dem auf Donnerstag verschobenen „Limb´s Theorem“ drei Gastspiel-Stücke gezeigt, was Buchungsprobleme nach sich zog. Die Limón Dance Company aber hielt, was ihre Bezeichnung als „Legende des Modern Dance“ versprach.
Zu den zeitgenössischen Choreografen, die im Auftrag von Carla Maxwell das nach wie vor von Limón geprägte Repertoire der Company erweitern, gehört Susanne Linke nicht ohne Grund. Sie kommt aus der Folkwang-Tradition, die sich an Harald Kreutzberg anschloss, der seinerseits Limón dazu inspiriert hat, Choreograf zu werden. Mit „Extreme Beauty“ von 2004 variierte sie ihr Thema vom sozialen Druck auf Frauen und ihrer natürlichen Schönheit. Fünf Tänzerinnen beginnen mit einem stampfend wiederholten Dreischritt, einwärts gedrehte Füße und Hüftdrehungen, Diagonalen, Kreise und lange Läufe kommen hinzu, bis sich Linkes Vokabular des Modern Dance vervollständigt, das Unisono sich auflöst und sich die Frauen in Soli individualisieren. Sie finden zu neuen Formationen, die als Zweier- und Dreiergruppen miteinander kommunizieren und sich von ihren Lasten und Barrieren freitanzen.
Zwar war der Mittelteil zu den rauen Streicher-Kaskaden von György Kurtag und den elektronischen Klängen von Salvatore Sciarrino nicht ohne Längen, doch als eine der fünf Tänzerinnen von ihren Partnerinnen mit einer langen weißen Stoffbahn umwickelt wurde und plötzlich eine Dornenkrone trug, zog die Spannung wieder an: Ihre natürlichen Bewegungen änderten sich, so dass es aussah, als werde eine Geisha-Puppe über die Bühne geschoben. Bald kamen die vier anderen in ihrem für Männer konditioniertem Outfit hinzu, mit weißen Reifrock-Kleidern und roten Pumps auf ihren Köpfen. In dieser „äußersten Schönheit“ ging die natürliche verloren, die Bemühungen um Emanzipation mussten weitergehen und wurden durch neue Bewegungen einer Frau im Sportdress angedeutet, die für die anderen ein Zeichen setzte. Ein Stück, schlüssig in Gedanken, Form und Präsentation, allerdings von bedeutungstriefender Schwere.
Nach dieser überaus ernsthaften Eröffnung folgte mit „Concerto Six Twenty-Two“ der vergnügliche Teil des Abends zum Klarinettenkonzert KV 622 von Mozart. Was sich Lar Lubovitch 1986 dazu hatte einfallen lassen, war an der Bedeutung des Konzerts vorbei vor blauem Himmel ganz auf Natürlichkeit und Frische angelegt. Dabei wurden die Schönheiten der Musik jedoch durchaus wahrgenommen, und in wechselnden Formationen, die immer wieder in einen verspielten Reigen mündeten, kreisten auch die Körper der Tänzer in Drehungen, die organisch fließend von den bloßen Füßen über die Hüften bis in die Arme schwangen. Dazu kam, dass Lubovitch musikalische Repetitionen als vermeintliche Unzulänglichkeiten verulkte – witzig und in einer schier unerschöpflichen Bewegungsfindung.
Mit einem Original-Limón aus dem Jahr 1967 stand das Beste dieses Abends am Ende. In der Neueinstudierung von „Psalm“ durch Carla Maxwell zu einem Auftragswerk von Jon Magnusson (2002) schufen die kraft-, geist- und ausdrucksvollen Bewegungen des Ensembles ein permanentes Spannungsfeld zwischen Himmel und Erde. Mit diesem Werk offenbarte der aus Mexiko stammende amerikanische Choreograf, wie „Tanz als Erscheinung unbeschreiblicher Kraft“, wie er selbst formulierte, das sonst so heikel gespreizte Thema Religion und Glaube nicht nur kitschfrei, sondern mit glaubwürdig dargestellter Spiritualität und somit nicht nur unbeschwerlich, sondern faszinierend meistern kann.
Magnussons Komposition - so ein Auftragswerk müsste man mal bekommen! - mit ihrer rhythmisch akzentuierten Dramatik und abwechslungsreichen Instrumentierung, die sich jedem Zweck anverwandelt, ist mit lateinischen Arien durchsetzt, die dem Tanz des Solisten Jonathan Riedel vorbehalten sind. Diese Musik trug zu dem starken Eindruck ebenso bei wie die expressiven Formationen des mit seinen wunderbar fließenden Bewegungen als Psalmist figurierenden Ensembles. Die Limón Dance Company präsentiert 33 Jahre nach dem Tod ihres Gründers immer noch die ursprüngliche Kraft des Modern Dance!
Besprochene Vorstellung: 29. März
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