Ein Stuttgarter in Florida

Alexander Schneider choreografiert „New York, New York!“ für das Sarasota Ballet

oe
Stuttgart, 27/01/2005

Ein seit langem in Stuttgart lebender Choreograf kreiert für das Sarasota Ballet of Florida „New York, New York!“ als abendfüllende Produktion – was den beiden Lokalpostillen der schwäbischen Ballettkapitale nicht mal eine Meldung wert ist (mal sehen, ob unsere beiden Fachzeitschriften darüber berichten werden). Woran man wieder einmal den journalistischen Stellenwert des Tanzes hierzulande ablesen kann! Seit zehn Jahren fungiert Robert de Warren als Chef des Sarasota Ballet – erinnert sich bei uns noch jemand an ihn, der immerhin von 1960 bis 1962 Tänzer des Stuttgarter Balletts war?

Seine Karriere hat ihn dann über Frankfurt und Teheran und als Künstlerischer Direktor über das Northern Ballet Theatre und die Mailänder Scala nach Florida geführt, wo er inzwischen eine ganze Reihe von Abendfüllern (und natürlich auch Einaktern) choreografiert hat – offenbar so erfolgreich, dass sein Vertrag gerade wieder erneuert worden ist. Übrigens ist das an der Westküste von Florida gelegene Sarasota nicht mit Saratoga zu verwechseln, der Sommerresidenz des New York City Ballet im Staate New York. Die Sarasota Kompanie verfügt über 27 Tänzer und von einer ihrer Prinzipals, Lauren Strongin, heißt es in ihrer biografischen Notiz: „She continued her training at the John Cranko Schule in Stuttgart, Germany, under Ute Mitreuter-Russu and Sarah Abendroth“. Ihre letzten größeren Rollen hatte sie als Klara im „Nußknacker“ und in der „Kameliendame“ sowie in „Madame Butterfly“.

De Warren hatte Alexander Schneider eingeladen, sein ursprünglich für Flensburg choreografiertes Ballett „New York, New York!“ in überarbeiteter und erweiterter Form in Sarasota einzustudieren. Ein riskantes Unternehmen, so scheint es – einen reingeschmeckten Schwaben für eine amerikanische Kompanie ein abendfüllendes Ballett über New York choreografieren zu lassen, und noch dazu mit einer Reminiszenz an jenen schicksalhaften 9/11. Aber es ist gut gegangen, nicht zuletzt wohl auch dank des zusätzlichen Engagements der Westcoast Black Theatre Troupe, bestehend aus sechs Gospel-Sängern, die ihren eigenen Bewegungsstil in die Produktion einbrachten und ihr auf diese Weise eine kräftige Injektion an Jazzfeeling verpassten.

Schneider, der für Konzept, Choreografie, Dekor, Kostüme und Beleuchtung verantwortlich zeichnet und auch für die Musik-Collage aus Bernstein, Rodgers & Hart, John Adams, Simon & Garfunkel, Gershwin, Philip Glass, Sting etc. pp., präsentiert eine zweiaktige nahtlose Bilderfolge wie aus einem Souvenirbuch. Es sind Tanzskizzen aus dem New Yorker Alltag à la „Chorus Line“, „West Side Story“, „Fancy Free“, aber auch Hymnisches, Wall-Street-Hektik, Konsumgewohnheiten, Überkandideltes, Freakishes, Cops und leichte Mädchen, das übliche amouröse Techtelmechtel, Liberty-Pathetik und der Einbruch der Katastrophe. Es ist die Liebeserklärung eines Europäers an den Big Apple – klassischer grundiert als wenn, sagen wir Robbins, Gower Champion, Michael Bennett oder einer der Broadway-Profis das choreografiert hätte, mit prononciertem Hüftgeschwinge und pointiert synkopiert.

Es sind immer wieder große blockartige Ensembles darunter, aber auch effektvolle kleinere Gruppen, zahlreiche Pas de deux und kontrapunktisch gegeneinander geführte Formationen. Der Videoaufzeichnung zufolge scheint das ganze Unternehmen den Tänzern ausgesprochen Spaß gemacht zu haben, dem Publikum sowieso, das sich denn auch mit seinem Szenenbeifall nicht zurückhielt. Ein Rundumerfolg also, bestätigt auch von den zahlreichen auswärtigen Besuchern, darunter einem eigens aus Miami herbeigeeilten Edward Villella. Was Schneider über seine dortige Arbeit zu berichten weiß und auch über seine Beobachtungen bei anderen Kompanien in den Südstaaten und deren von unseren hiesigen doch grundverschiedenen Arbeitsbedingungen, das scheint mir immerhin interessant genug, um darauf noch gesondert einzugehen. Link zum Saratosa Ballet: www.sarasotaballet.org

 

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