Zurück aus den USA

Alexander Schneider über seine Erfahrungen als Gastchoreograf beim Sarasota Ballet of Florida

oe
Stuttgart, 02/02/2005

Mit mehreren Kilos Übergepäck an Informationsmaterial ist Alexander Schneider nach der Einstudierung seiner abendfüllenden „New York, New York!“-Produktion beim Sarasota Ballet of Florida nach Stuttgart zurückgekehrt (siehe kj vom 27.1.2005). Sie war in der fünfmal ausverkauften, 2400 Plätze fassenden dortigen Van Wezel Performing Arts Hall übrigens ein so durchschlagender Erfolg, dass jetzt eine zweite Aufführungsserie vorbereitet wird. Was er über seine dortigen Erfahrungen und seine Eindrücke bei einer anschließenden Reise zu diversen Ballettkompanien in den Südstaaten berichtet, scheint mir gerade auch für hiesige Ballettfreunde interessant genug, um zumindest ein paar seiner Beobachtungen weiterzugeben.

So zum Beispiel der Umstand, dass so gut wie alle Kompanien ihren Tänzern nur Neun-Monatsverträge geben, so dass sie sich die restlichen drei Monate des Jahres mit Gelegenheitsjobs durchschlagen müssen (kein Wunder, dass Kevin O‘Day in Mannheim von geradezu paradiesischen Zuständen hierzulande spricht). Wie denn überhaupt der Verzicht auf offizielle Subventionen die Kompanien zu ausgesprochen offensiven Marketingstrategien zwingt. Dazu gehört beispielsweise die Werbung ständig neuer Sponsoren, die, entsprechend ihren Beiträgen, hierarchisch gestaffelt nicht nur namentlich im Programmheft genannt werden, sondern auch mit ihren Fotos abgebildet werden. Wie denn überhaupt die Öffentlichkeitsarbeit eine eminent wichtige Rolle spielt – mit allen möglichen Formen von speziellen Vorstellungen für Firmen (in deren Räumlichkeiten), von Probeneinladungen, vor allem aber auch die sehr intensive Zusammenarbeit mit Schulen – und bei sonstigen gesellschaftlichen Anlässen, wie Lunches, Pre- und After-Performance-Dinners, Bällen, speziellen Partys.

Dazu gehören auch die weihnachtlichen Serien von „Nussknacker“-Vorstellungen. Aus unserer Sicht leicht suspekt, bedeuten sie für die amerikanischen Kompanien eine schiere Überlebensnotwendigkeit. Schneider spricht sogar von einer eigenen „Nussknacker“-Kultur und vergleicht etwa den „außerordentlich geschmacksicheren Nussknacker“ von Marie Hale beim Florida Ballet of West Palm Beach mit dem „Dornröschen“ von Marcia Haydée beim Stuttgarter Ballett. Den „Nussknacker“ von Stephen Mills beim Ballet Austin hält er sogar für einen der besten, denen er in seiner langjährigen Erfahrungspraxis begegnet ist.

Erstaunt hat er die funkelnagelneuen Balletthäuser registriert, die für die Kompanien überall entstehen, mit ihren fabelhaften Probenräumen, Studios, Auditorien nebst den angegliederten Schulen. Geradezu ins Schwärmen gerät er bei der Schilderung von Edward Villellas Center für das Miami City Ballet, von dem er auch ein Video mitgebracht hat – mit höchst originellen Balletten von Trey McIntyre („The Reassuring Effects of Form and Poetry“), Paul Taylor („Piazzolla Caldera“ – würde ich sofort fürs Stuttgarter Ballett einkaufen) und Villella („Ballroom“, ein fabelhafter Ragtime-Knüller – könnte ich mir gut bei Spoerli in Zürich vorstellen). Enorme Fortschritte seit ihrem Auftreten in Sindelfingen vor ein paar Jahren hat offenbar die modern ambitionierte Maximum Dance Company von David Palmer und Yanis Pikieris (Ex-München, aus der Gleede-Ära) gemacht. Noch so ein Choreografen-Name, der auch für uns interessant wäre: der Australier Stanton Welch, der gerade Nachfolger von Ben Stevenson beim Houston Ballet geworden ist („Tales of Texas“, quasi die texanische Antwort auf Agnes de Milles „Rodeo“ – hier auch die exquisiten „Vier letzten Lieder“ von Stevenson zu Richard Strauss‘ Vermächtnis-Opus).

Und dann ist da noch ein ehemaliger Tänzer des Houston Ballet, der jetzt eine eigene kleine Kompanie gegründet hat, das Dominic Walsh Dance Theater – allem Anschein nach ein ungemein vielseitiger Mann und hoch motivierter moderner Choreograf. Beim Atlanta Ballet hat ihn dessen künstlerischer Direktor John McFall mit seinem spektakulären „Peter Pan“ (geradezu sensationelle Luftnummern) kolossal beeindruckt (und mich auch in der Video-Aufzeichnung). Beim Orlando Ballet ist er Fernando Bujones wiederbegegnet, Artistic Director seit 2000 – und beim Florida Ballet Markus Schaffer, der seine Ausbildung bei Heinz Clauss an der John Cranko Schule in Stuttgart absolviert hat und inzwischen dort Principal Dancer ist. Mir schwirrt hinterher förmlich der Kopf vor lauter Namen, Kompanien und Ballett-Titeln. Eine so vitale Ballettszene, mit Dutzenden attraktiver, technisch staunenswert virtuoser, überbordende Lebenslust kommunizierenden Tänzern Down South: darauf war ich wahrlich nicht gefasst! Hier noch ein paar Internet-Adressen: www.saratogaballet.com, www.balletflorida.com, www.orlandoballet.org, www.balletaustin.org, www.miamicityballet.org, www.maximumdancecompany.com, www.atlantaballet.com, www.houstonballet.org, www.dwdt.org

 

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