Zwei Auszeichnungen für Gonzalo Galguera
Der Magdeburger Ballettdirektor und Chefchoreograf wird in Italien gleich zweimal geehrt
Was die Welt der menschlichen Gefühle im Innersten zusammenhält, dem hat der Kubaner Gonzalo Galguera in einem Dreiteiler für das Theater Magdeburg auf subtile Weise nachgeforscht. Fünf Jahre lang war er Ballettchef in Dessau und ließ dort durch Handlungsballette in eigener Lesart und gediegene sinfonische Schöpfungen ein marodes Ensemble phönixgleich auferstehen. Sein guter Ruf weit über die Stadtgrenzen hinaus brachte ihm nun eine Einladung ans landeshauptstädtische Haus ein. Anspruchsvoll nennt sich das Ergebnis „Credo“ und besteht sämtlich aus Uraufführungen. Liebe zu dieser einen Erde, die wir nur haben, Liebe als Intimzone zwischen Menschen und Liebe zur Kunstform Klassischer Tanz, so könnte man verbal den Bogen umreißen, den die Beiträge des Abends tänzerisch zu spannen suchen.
Das Rauschen eines fernen Weltengestades untermalt in „Terra Nostra“ den spanisch eingesprochenen Text eines Liebesgedichts von Rafael Alberti. Unter einer schräg hängenden dunklen Folie vor hoffnungsblauem Hintergrund (Bühne Juan León) ziehen drei nixenhafte Frauen und später auch deren Partner, alle in raffiniert geschlitzten Beinkleidern (Kostüme: Pascale Arndtz), ihren Weg durch eine von sechs Wesen in elegant geschnürtem Schwarz bedrohte Landschaft. Musik des Kubaners Leo Brower und des Argentiniers Alberto Ginastera vom Band koloriert die Konfrontation südamerikanisch, und auch die Choreografie zitiert Elemente spanischen Tanzes. Am Ende der zwanzigminütigen Miniatur obsiegt das Frauentrio und kehrt befreit strahlend in die Ausgangspose zurück: Mutter Erde hat den Mächten der Finsternis getrotzt.
Das Mittelstück „Cantus Perpetuus“ erweist sich als eine tänzerische Elegie für zwei Paare. Sitzzeilen mit projizierten Passfotos stehen im Dunkel des beidseitig von Scheinwerfern gesäumten Raumes; auf der mittleren hocken gedrängt in schwarzweißen, geschmackvoll körperknappen Kostümen die vier Akteure. Frieden und Harmonie beherrschen die Szene, und doch spannt Sehnsucht nach Liebe und Glück ein Netz der Emotionen zwischen ihnen auf. Aus beredten Körpern fügt der Choreograf in nicht versiegendem Fluss ungemein berührende Bilder von Nähe, die dennoch Distanz nicht zu überwinden vermag, von folgenlos bleibenden Begegnungen isolierter Individuen. Über aller zeitlupenhaften Akrobatik der Herren, den Spreizhebungen und Überkreuzschleudern liegt ein trauervoller Schleier, als fürchte das Quartett, aus einem schönen Traum zu erwachen. Sanfte Musik des Amerikaners Michael Hoppé und des Deutschen Stefan Petschink, ein atemberaubend atmosphärisches Kyrie eleison etwa, addiert der getanzten Gefühlsverstrickung ihre Stimmung. Den Aufbruch einer der Gestalten erleben am Schluss die anderen lediglich abgewandt mit.
Mit „Brahms: 2. Sinfonie“ kulminiert der Abend in einer Hommage an das Ballett. Eine herabfahrende halbe Sonnenscheibe trennt jeweils die vier Sätze der sinfonischen Tanzkomposition; Rot und Orange dominieren nicht nur die Overalls der Herren und die Tütüs der Damen, sondern auch wellenförmige Gebilde in der Bühnentiefe. Erfindungsreich in den Raumrastern und den Paarkonstellationen huldigt Galguera wiederum seinem bevorzugten neoklassischen Bewegungskanon. Brahms‘ freundliches Klanggewölbe lässt Platz für flink wechselnde Tableaux der neun Paare, treibt die Herren apollinisch posierend auf jene Wellen und nimmt im 3. Satz gar heitere Ballerinenrankünen wohlwollend auf. Nach formen- und hebungsreichen, auf Präzision gestellten Mustern schließt der vierzigminütige Fries mit einer Apotheose auf das Solopaar. Magdeburgs Kompanie, in der Cintia Erica Decastelli als souveräne Solistin und der sensible Dario Lesnik auffallen, ringt wacker mit dem Tempo, den raschen Wendungen und der Beweglichkeit des Oberkörpers in einer noch ungewohnten Stilistik. Das Tor in fremdes Terrain ist aufgetan, der Weg zu seiner Eroberung indes noch weit.
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