Zum Tod von Giora Manor

oe
Stuttgart, 28/03/2005

Eine traurige Nachricht erreicht uns aus Israel: in seinem Kibbutz Mishmar Haemek starb in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag unser langjähriger Kollege und Freund Giora Manor, nachdem er erst kürzlich in seinem Leben – er wurde am 23. Juni 1926 in Prag geboren – erstmals in ein Krankenhaus eingeliefert worden war. Es ist eine Nachricht, die viele mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen werden, denn noch bei seinem jüngsten Besuch hierzulande im vorigen Jahr war er voller Pläne. Und so hatten wir uns auch noch in unserem letzten E-Mail-Austausch vor zwei oder drei Wochen darauf gefreut, uns im Sommer in Kopenhagen beim Bournonville-Festival wiederzusehen. Und selbst danach hatte ich ihm noch eine Eilbotschaft zukommen lassen, um ihn darauf hinzuweisen, dass in Köln anlässlich des achtzigsten Geburtstags von Robert Cohan in vierzehn Tagen an der Kölner Musikhochschule eine kleine Retrospektive mit drei seiner Werke geplant sei – insgeheim darauf hoffend, dass er vielleicht dabei hätte sein können, denn Cohan, der bedeutende Graham-Mann, der heute in Südfrankreich lebt, gehörte zu seinen engsten Freunden.

Aber wer denn eigentlich nicht? Und so hatte er ganz unglaublich viele Freunde in der ganzen Welt – und mit am meisten habe ich an ihm bewundert, dass er mit Kollegen befreundet war, die sich untereinander keineswegs grün waren (und sind). Kennengelernt habe ich ihn vor rund vierzig Jahren in Köln, als er mir als ein Gast des Deutschen Instituts für Auslandsbeziehungen avisiert worden war – mit der Warnung, dass es sich bei ihm um einen ausgesprochenen Linksintellektuellen handele. Das war damals seine erste Informationsreise in die Bundesrepublik, die er als Theater- und insbesondere als Tanzkritiker unternahm. Die Warnung war herzlich überflüssig, denn wir wurden augenblicklich Freunde und haben uns danach an unzähligen Orten der Welt getroffen. Auch in seinem Kibbutz in Mishmar Haemek, den er nach seiner gerade noch mit dem letzten Transport vor der Okkupation Prags erfolgten Emigration mit aufgebaut hatte, und den er mir dann bei meinem ersten Besuch in Israel stolz vorführte.

Giora war ein in der Wolle gefärbter, weltoffener Israeli – und ein ausgesprochener Freund der Deutschen (und Amerikaner, Engländer, Russen, Mexikaner, Inder, Tschechen, Österreicher – sonst noch jemand gefällig?). Er war nach Absolvierung seiner Militärdienstzeit und als Heereskorrespondent Schauspiel- und Hörspielregisseur und wurde dann einer der einflussreichsten Theater- und Tanzkritiker, als der er sich durch seine regelmäßigen Beiträge in ausländischen Zeitungen, Zeitschriften und Buchveröffentlichungen auch international einen Namen machte. Bis zuletzt arbeitete er an einem großen Buchprojekt, das jenen Persönlichkeiten gewidmet sein sollte, die nicht aktiv als Tänzer, Choreografen, Pädagogen, sondern im Hintergrund Tanzgeschichte gemacht haben – Leute wie Diaghilew, Rambert, Kirstein, de Maré, Kochno, Wüstenhöfer.

Vor allem aber war er ein Freund, der es in fast jedem Jahr einrichten konnte, dass er uns einen Besuch abstattete (und fast immer zur Spargelzeit). Und mit dem wir die prächtigsten Partys gefeiert haben – deren Mittelpunkt er schon deswegen war, weil er die tollsten Witze zu erzählen verstand. Und wenn dann einer der hierzulande gewonnenen neuen Freunde in Israel auftauchte, kutschierte er ihn im ganzen Land herum, machte ihn mit einer überbordenden Fülle von interessanten Persönlichkeiten bekannt und umsorgte ihn einer Herzlichkeit, wie sie selten geworden ist in unseren Tagen. Er wird uns fehlen, unser Freund in Israel!

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern