Auf gleicher Augenhöhe mit dem Komponisten und dem Choreografen

Eine neue DVD: „Picasso and Dance“

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Stuttgart, 17/02/2006

Alexander Benois und Léon Bakst waren in den Anfangsjahren der Ballets Russes von Diaghilew die Wegbereiter einer neuen Ästhetik der Ballettausstattung. Diaghilew hat dann auch mit anderen Malern als Designer zusammengearbeitet, aber mit keinem je so intensiv wie mit Picasso, den er 1917 für „Parade“ engagierte und der in den folgenden Jahren für ihn „Le Tricorne“ (alias „Der Dreispitz“, 1919), „Pulcinella“ (1920), „Cuadro Flamenco“ (1921), „L’Après-midi d‘un Faune“ (1922), „Mercure“ (1924) und „Le Train bleu“ (1924) entwarf – später folgten dann noch „Le Rendez-vous“ (1945 für Petit) und „Icare“ (1962 für Lifar).

Eine jetzt erschienene DVD „Picasso and Dance“ wird eingeleitet mit einer Lektion von Didier Baussy-Oulianoff, der in „The Story of a Marriage“ über diesen Komplex im Oeuvre Picassos referiert, illustriert mit Fotos, Porträts und Entwürfen fürs Bühnenbild und Kostüme. Es folgen dann die 1993 entstandenen französischen Fernsehproduktionen von „Le Train bleu“ und „Le Tricorne“ mit dem Ballett der Pariser Opéra und dem von David Coleman dirigierten Orchestre des Concerts Lamoureux (Warner Music Vision, 4509-98755-2, 81 Minuten). Die beiden hier vertretenen Ballette machen deutlich, wie enorm weit sich der stilistische Spannungsbogen Picassos erstreckte.

„Der Dreispitz“ ist nach Léonide Massines Worten der Versuch, „spanische Volkstänze mit klassischen Techniken“ zu verbinden und daraus eine „choreografische Interpretation des spanischen Temperaments und der Lebensart“ zu schaffen. Picassos Synthese aus konstruktivistischen Elementen, folkloristischen Anleihen und – besonders in den Kostümen – Inspirationen von Goya ist ein Reflex der vielfältigen choreografischen Einflüsse, die in diesem Modellfall eines tänzerischen Gesamtkunstwerks zusammenkamen – und bis heute nichts an künstlerischer und gerade auch ästhetischer Qualität eingebüßt haben. Die ist auch nicht beeinträchtigt durch die inzwischen erfolgte Differenzierung der pantomimischen Ausdrucksmittel, die in dieser Inszenierung mit Tänzern wie Kader Belarbi (Der Müller), Françoise Legrée (die Frau des Müllers), Fabrice Bourgeois (der Corregidor) und Eric Quillère doch recht chargenhaft outriert wirken.

Gleichwohl ist man froh, den eskalierenden Elan dieses an unseren Bühnen kaum noch anzutreffenden Meilenstein-Werkes – zu verdanken nicht zuletzt der Zündkraft der Musik von De Falla – konserviert zu wissen. Eine ausgesprochene Delikatesse für die kulturhistorisch interessierten Gourmets der klassischen Ballettästhetik! Ganz anders der von Jean Cocteau konzipierte „Train bleu“, dessen Titel auf jenen legendären Express anspielt, der Paris mit der Côte d‘Azur verband und die Jeunesse dorée der Zwanziger zu ihren sommerlichen Vergnügungen am Strand des Mittelmeers transportierte. Da wird zu den leicht angejazzten Klängen von Darius Milhaud ein bisschen Sport getrieben und ansonsten heftigst geflirtet zwischen den Twens, die allesamt einem Roman von Scott F. Fitzgerald entstammen könnten.

Dies markierte – zusammen mit „Les Biches“ – den Höhepunkt von Diaghilews Cocktail-Periode, die Gay Twenties, deren modische Trends sich in der Choreografie von Bronislava Nijinsky ebenso wie in den Badekostümen von Chanel wiederfanden. Jugendlicher Charme sowie der kesse Chic der Zwanziger und eine noch unschuldige Sexiness charakterisieren diese ‚Operette dansée‘, für die Picasso den Vorhang entwarf und die hier mit prickelnder Champagner-Verve von den Tänzern der Pariser Opéra serviert wird – mit Elisabeth Maurin als Perlouse, Nicholas Le Riche als hübscher Junge, Clotile Vayer als Tennis-Champion und Laurent Quéval als Golfspieler. Ein augenzwinkerndes Schmunzel-Ballett, das auf der Zunge perlt wie ein – na ja, nicht gerade wie ein Dom Perignon, aber doch wie ein kitzelnder Prosecco.

Schade, dass die DVD nicht auch „Parade“ bietet, dieses konstruktivistische Monster mit der Musik von Satie und den verrückten mechanistisch-skulpturalen Figurinen von Picasso – sicher sein extravagantester Beitrag für das Theater überhaupt. Angesichts der nur 81 Minuten der vorliegenden DVD wäre für die 20 Minuten dieses ‚Ballet réaliste en un‘acte‘ noch genügend Platz gewesen!

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