Aus der Mottenkiste des Balletts

„Coppélia“ oder wie dem Ensemble der Wiener Staatsoper Bedeutungslosigkeit droht

Wien, 31/01/2006

Man muss einen triftigen Grund haben, um das 1870 in Paris uraufgeführte Ballett „Coppélia“ als erste Premiere einer neuen Ära in der Staatsoper anzusetzen. Entweder weil man mit einem Choreografen aufwartet, der dem E.T.A. Hoffmann-Stoff „Der Sandmann“ und anderen Quellen eine zündende Idee aus dem Geist von heute abgewinnen kann. Und aus der Story um den Puppendoktor Coppélius, der seine namensverwandte Automatin in ein atmendes Wesen verwandeln will, mehr als eine seichte Komödie, wie nun in der Staatsoper zu sehen, macht. Oder: Das Stück steht in einer Beziehung zum Aufführungsort und hat auch in einer „alten“ Fassung einen Wert. Diesbezüglich aber war Wien meist vorbildlich und kann im Fall der Automaten-Ballette mit der „Puppenfee“ aufwarten.

Mit „La Fille mal gardée“ ist eine weitere Komödie im Repertoire, die eine anhaltend aktuelle Lesart eines überkommenen Choreografie-Modells ist. Ballettchef Gyula Harangozó pflanzt die 1953 in Budapest von seinem Vater inszenierte „Coppélia“ ins derzeit noch aus einigen Perlen bestehende Wiener Repertoire und stiftet Verwirrung.

UNGARN 1953 Was in Budapest zum nationalen Erbe zählt, wirkt in Wien mehr wie eine laue Zugabe als eine Hauptspeise. Die Inszenierung mag zwar in der Monarchie (im neu entworfenen, hässlich-altfaderischen Bühnenbild von Kentaur) spielen, trotzdem sind ihr die Nachkriegs-50er-Jahre und der Einfluss sowjetischer Ballett-Ästhetik (teils auch in den Kostümen von Rita Velich) anzusehen. Für Historiker ein Studien-Objekt, das zeigt, wie Harangozó Senior die Realismus-Debatte seiner Zeit bediente und sich als Coppélius ein Denkmal als Tänzer setzte.

Harangozó jun. und Márta Metzger haben die Budapester „Coppélia“ nach Wien transferiert. Tamás Solymosi (Franz) ist nicht nur seine Elastizität abhanden gekommen. Die ihn umgebenden „Freunde“ (u.a. Sosnovschi, Peci, Kourlaev) imponieren mehr. Außergewöhnlich ist die 21-jährige Polina Semionova: Eine ungemein begabte Frau mit akademischem Können, atemberaubenden Balancen, feiner Phrasierung und vielen Gesichtern. Gewinnend temperamentvoll im Spanischen Tanz, nobel als klassische Ballerina. Als Swanilda, die eher dem Soubretten-Fach angehört, ist sie luxuriöse Verschwendung. Köstlich zu eigen gemacht hat sich Lukas Gaudernak den mimisch angelegten Coppélius. Michael Halász am Pult sorgte für einen zügigen, ungarisch instrumentierten Delibes.

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