Räume reichen sich die Hände
„Sense of Place“ von Dustin Klein beim Origen Cultural Festival 2022
Alles über den Tanz in der Schweiz – mit Richtstrahlern bis nach Amerika und China – bietet das Aprilheft 2006 der Schweizer Zeitschrift „du“ für Kultur (im Zeitschriften- und Buchhandel, 90 Seiten plus Supplement Festivalrevue des Migros Festivals „Steps # 10“, 50 Seiten). Es ist das 765. Heft der im 65. Jahrgang erscheinenden Schweizer Kulturzeitschrift, die damit ein doppeltes Jubiläum feiert, ihr eigenes und die zehnte Veranstaltung des alle zwei Jahre stattfindenden, dem internationalen zeitgenössischen Tanz gewidmeten Festival, das von Migros Kulturprozent gesponsert wird.
Erstmals widmet sich die internationalen Kultstatus genießende Schweizer Zeitschrift dem Tanz – und sie tut es mit gewohnter Schweizer Seriosität und Schweizer Layout-Qualität. Allein sie zu durchblättern ist ein optischer Genuss – schon der zahlreichen Schwarzweiß- und Farbillustrationen wegen aus Vergangenheit (gleich die farbige Doppelseite 26/27, mit dem Foto der Laban-Tanzgruppe 1914 am Lido von Ascona) und Gegenwart (bis zum Co-Op-Gastspiel des Jin Xing Dance Theatre mit der Berliner Tanzkompanie Rubato in ihrer Produktion „Shangai Beauty“). Beteiligt sind so prominente Autoren wie Lilo Weber, Jean-Pierre Pastori und Christina Thurner (man vermisst Richard Merz) und aus dem Ausland unter anderen beispielsweise Raimund Hoghe, Claudia Jeschke, Gabi Vettermann und Wiebke Hüster. Aus der Schweiz kommen zehn Choreografen zu Wort – darunter Serge Compardon, Philip Egli, Cathy Sharp, Verena Weiss, Richard Wherlock und Philip Saire (und warum kein Spoerli?).
Den Anfang macht ein Interview mit William Forsythe über den Tanzdenker und sein Assoziationsfeld. Sehr informativ ist ein Rundblick über Schweizer Tanzpersönlichkeiten der Vergangenheit – wo auch an solche Künstler wie Terpis, die Mlakars, Rosen, Orlikowsky und den sehr verdienstvollen Pädagogen Walter Kleiber erinnert wird. Ganz toll finde ich Lilo Webers „Den belgischen Tanz gibt es nicht“ über die geradezu feindliche Konfrontation von Flamen und Wallonen (erinnert fast ein bisschen an den gegenwärtig so heiß diskutierten Clash zwischen Christen/Juden und Muslimen) – und einer aktuellen Situationsbeschreibung, die bis zu Rosas, Ultima Vez und Ballets C. de la B. reicht. Natürlich kann man fragen, was denn ein Interview „In der Sprechstunde“ mit dem Chefarzt vom New Yorker Harkness Center for Dance Injuries mit der Schweiz zu tun – und das gilt auch für den Essay „Noten des Tanzes“, in dem über einen Besuch im Studio von Amos Hetz und bei Nora Eshkol in Tel Aviv berichtet wird. Aber das beweist auch, wie weit der Blick auf den Tanz über die Schweizer Alpen hinaus geht, in den auch die amerikanische Pilobolus Kompanie, Louise Lecavalier aus Montréal, die Batsheva Dance Company und Introdans aus Arnhem einbezogen sind.
Eine hoch willkommene Besonderheit ist das von Anna Schindler zusammengestellte Wörterbuch des Tanzes, das von „Abstrakter Tanz“ bis „Wasserballett“ auf knapp vierzig Seiten, jeweils in der linken und rechten Außenspalte, alle möglichen Begriffe definiert (darunter auch so ausgefallene, in keinem einschlägigen Lexikon zu findende wie „Altersvorsorge“, „Body slapping. Body percussion“, „Doping“ und „Träume“). Sehr dienlich ist auch das beigeheftete Supplement mit den über die ganze Schweiz verteilten Veranstaltungen des „Steps # 10“ Festivals, das von Isabella Spirig und Samuel Wuersten – wie das heute so schön heißt: kuratiert wird.
Sehr zu empfehlen also, dieses 765. „du“-Heft – und ausgesprochen appetitanregend das komplette Kalendarium mit dem Programm des in insgesamt 26 Schweizer Städten stattfindenden Festivals! Link: www.dumag.ch
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