Vladimir Malakhov kündigt seinen Rücktritt an
Vladimir Malakhov verlängert seinen Vertrag als Intendant des Staatsballetts Berlin nicht über die Spielzeit 2013|2014 hinaus.
Alle zwei Jahre will das Staatsballett Berlin zum Gipfeltreffen laden. Zehn Tage lang öffnet dann die Kompanie unter Leitung ihres charismatischen Intendanten Vladimir Malakhov die Tore auch für Neugierige. Solche Nähe bot beim ersten „International Dance Summit Berlin“ das Ballett-Café im Apollo-Saal der Lindenoper mit einem Veranstaltungsmarathon in entspannter Atmosphäre: öffentliches Training, Tänzergespräch, Lesung, Buchpräsentation, Uni-Ballett als Bildungsangebot. Mit der Premiere „Tschaikowsky“ und einem vierteiligen Balanchine-Abend gab das Staatsballett den Rahmen vor und hob für vier Tage das Tokyo Ballet als Gastkompanie mit aufs Gipfelplateau. Ballett der Sonderklasse, ausgebreitet wie ein edler Fächer. Berlin sonnte sich im Glanz des Tanzes.
Weniger sonnig freilich der Blick auf Tschaikowskys Leben. Boris Eifman, choreografisches enfant terrible der Petersburger Szene seit seinen Anfängen Mitte der 1970er, wagte ihn 1993 mit der eigenen Gruppe und übertrug die zweiaktige Kreation dem Staatsballett - zu Musik des tragischen Meisters. Auf einem Metallbett ringt der, aufgeschreckt von Gestalten seines Lebens, unter fahl weißem Laken mit dem Tod, erinnert rückblickend seine dramatischsten Momente. Die Gönnerin Nadjeshda von Meck, seine ungeliebte, als dissonant gezeichnete Frau und, Kunstkniff, ein Alter Ego kommen darin vor, nicht jedoch sein Bruder Modest, historisch der Hauptvertraute. Inkarniert das Alter Ego die verborgenen Sehnsüchte des „öffentlichen“ Tschaikowsky, verschmilzt Eifman immer wieder die realen Personen mit Figuren aus dem OEuvre des Tondichters. So ist Nadjeshda außer Schutzengel auch rächende Carabosse und hetzende Pique Dame, ist das Alter Ego Muse mit Taktstock und Drosselmeier, der aus dem hölzernen Nussknacker einen Prinzen zaubert. Tschaikowskys Werben zum Trotz zieht es den Jüngling nur zu seinen Schwanenmädchen. Wiewohl die Gruppe reichlich eingesetzt ist, als zujubelnde, dann anklagende Gesellschaft, als schwarze Vögel, die sich ahnungsvoll unter die Schwäne mischen, ist das Zweistundenballett doch ein dramatisches Kammerspiel zwischen den vier Protagonisten. In ihre psychologischen Verstrickungen investiert Ejfman als Kaskade packender Duette seine choreografisch expressive Fantasie.
Prallen der Komponist und sein Alter Ego, an dem Tschaikowsky wie ein Gekreuzigter hängt, immer wieder frontal aufeinander, flieht er vor den fast tätlichen Attacken seiner enttäuschten Frau; die Begegnungen mit Nadjeshda laufen als berührungslos parallele Soli ab. Klassische Technik trifft dabei auf moderne Einsprengsel und groteske Gestaltung; für die Sequenz um einen Kartenspieltisch mögen Jooss und Béjart Pate gestanden haben. Wie auf einem angekippten Flügel hängt am Ende kopfüber der Tote, geschlagen auch an das Kreuz seiner Musik. Neben sensiblen Passagen stehen emotionsgeballte Exzesse, wenngleich die zum Sabbat in hitziger Röte sich steigernde Männersexorgie kostümlich bieder ausfällt. Vladimir Malakhov in der fast pausenlos durchlaufenden Titelrolle, Ronald Savkovic als Alter Ego, Nadja Saidakova als Frau, Beatrice Knop als Nadjeshda bieten technisch wie darstellerisch Höchstleistungen, die sich unter Viacheslav Okunevs nur andeutender Hängedekoration nebst filigraner Lichtregie und im schwelgerischen Klangraum der Staatskapelle unter Alexander Sotnikov bühnensprengend explosiv entfalten können.
Lichtvoller, doch nicht weniger virtuos ging es beim Tokyo Ballet zu, mit dem sich das Land Nippon 1964 energisch Eingang in einen genuin europäischen Kunstbereich verschaffte. Auch diesmal rechtfertigte es den Ruf der Außerordentlichkeit: mit dem rückkehrenden Exportartikel „Don Quixote“, einen von Wladimir Wassiljew nach ruhmreichen Vorgängern aufpolierten Klassiker zur Musik eines Halbdutzends an Komponisten, sowie einem dreigeteilten Béjart-Programm. In einem pastellschimmernd gemalten Spanien wie von Canaletto und unter weißblauem Gewölk geriet die Episode vom heiratsstiftenden Ritter zu einer launigen Operette mit Anspruch, Schmiss und Schauwert, getragen von einem glänzend aufgelegten Ensemble in wunderbunten Kostümen. Feuriges, inhaltlich motiviertes Spiel, gleicher Atem bis in die Kopfwendungen, exorbitante Solisten, unter denen Mika Yoshiokas Kitri, Kazuo Kimuras Basil und Junka Takamuras Cupido nur einige sind.
Wie rechtens Béjarts Entscheidung ist, das Tokyo Ballet zum internationalen Sachwalter seiner Werke zu erheben, bewies die bis zur Körpergröße bewundernswert homogene Truppe mit „Danses grecques“, einer siebenteilig dahinschwebenden Hommage an mediterrane Lebensleichtigkeit zu Musik von Mikis Theodorakis, der Partisanenparabel einer sich fortpflanzenden Idee nach Strawinskys „Feuervogel“-Suite und, stehend gefeiert, einer der besten Umsetzungen von Strawinskys „Sacre du printemps“: als auch formal grandioses Tableau animalisch-archaischer Zeugungskraft.
Wieder 20., 26.5. (Tschaikowsky), 17.5. (Balanchine-Abend), Staatsoper Unter den Linden
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