Aus Nürnberg via Aldeburgh nach Bregenz - und weiter nach Prag und Lyon
Benjamin Brittens „Death in Venice“ mit dem Tanztheater Nürnberg
Die Ballettbeteiligung an den Produktionen von „Der Untergang des Hauses Usher“, „Der Troubadour“ und „Blaubart"
An allen drei Musiktheater-Produktionen dieses Bregenzer Festspielsommers war auch das Ballett beteiligt – zweimal eher am Rande, einmal jedoch in ausgesprochen kreativer Funktion. Im Festspielhaus gab es „Der Untergang des Hauses Ushers“, Claude Debussys Drame lyrique nach Edgar Allan Poes gleichnamiger Erzählung – vom Komponisten als Fragment hinterlassen und für Bregenz nun als Uraufführung der Rekonstruktion und Orchestration von Robert Orledge angekündigt. Dabei handelt es sich um einen Mystery Thriller über den gleichen Stoff, den auch Philip Glass vertont hat – von Daniela Kurz 2001 in Nürnberg in einer nach wie vor sich beharrlich im Gedächtnis behauptenden Inszenierung herausgebracht.
Im Mittelpunkt der Horror-Story steht Roderick Usher, letzter Spross der Familie, der seiner dahinsiechenden Schwester Madeline in allzu intimer Liebe verbunden ist. Weiter beteiligt sind sein Freund, den er herbeigerufen hat, damit er ihm in seiner unerträglich gewordenen Bedrängtheit durch die geheimnisvoll-schrecklichen Kräften des düster verfallenden Hauses beistehe und ein mirakulöser Arzt, der sich als ein Rivale um die Gunst der Schwester entpuppt. Am Ende stehen Tod und Verderben, mit der aus dem Grabe auferstandenen Schwester, die den Bruder zu sich ins Jenseits holt. Da bleibt vieles rätselhaft – und es sind eben diese unerklärlichen Löcher, in die sich Debussys Musik eingenistet hat.
Mit seiner Aufführungsdauer von 75 Minuten ist das Stück nicht abendfüllend, und so haben sich die beiden Inszenatoren, die englische Regisseurin Phyllida Lloyd und der dänische Choreograf Kim Brandstrup, entschlossen, zwei andere Kompositionen Debussys dem „Untergang des Hauses Usher“ voranzustellen, das „Prélude zum ‚Nachmittag eines Fauns‘“ und die Ballettmusik zu „Jeux“, und die drei zu einer pausenlosen Trilogie zusammenzuschließen – eine nicht unproblematische dramaturgische Operation, da „Faun“ und „Jeux“ einen ganz anderen theatralischen Kontext suggerieren. In der Musik nennt man diese Praxis ein Parodieverfahren, und man muss Lloyd und Brandstrup bescheinigen, dass sie äußerst geschickt vorgegangen sind – in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit, die direkt aus der Musik entsprungen scheint und so die Vorgeschichte dieser geheimnisvollen Verstrickungen andeutet, ohne sich jedoch je zu eindeutiger Konkretheit zu verdichten.
Die vier Rollen sind doppelt mit Sängersolisten und vier Tänzern vom englischen Royal Ballet besetzt. Während sich die beiden ersten Teile als reine Ballette entwickeln, ist der dritte Teil hauptsächlich den Sängern vorbehalten, aber es kommt zu Überschneidungen, wobei den Sängern erhebliche tänzerisch-darstellerische Aufgaben zugemutet werden. Die Choreografie schreitet dabei von wunderbar flüssigen, der Musik hauteng angeschmiegten neoklassischen Enchainements zu in immer tiefere Seelenschichten vordringenden, expressiveren Ausdrucksformen voran, die mich an Studien von Egon Schiele erinnerten.
Wie hier Personenregie und Choreografie einander zuspielen, entsteht ein kreativer Dialog, der das Ganze zu einem Gesamtkunstwerk rundet, von dem zwar oft die Rede ist, das man aber selten in so perfekter Harmonie realisiert erlebt wie hier von den vier plus vier Darstellern, den Tänzern Steven MacRae, Johannes Stepanek, Gary Avis und Leanne Benjamin und den Sängern Scott Hendricks, Nicholas Cavallier, John Graham-Hall und Katia Pellegrino als Roderick, Freund, Arzt und Lady Madeline. So wird der Bregenzer „Untergang des Hauses Usher“ zum Modellfall eines musikalisch-tänzerischen Gesamtkunstwerks von bestrickender Eleganz und Noblesse, die das Schreckenssujet zu reiner ästhetischer Schönheit verklärt.
Von ganz anderer choreografischer Machart ist die Eingangsszene zum dritten Akt des „Troubadour“: die Vorbereitung der Truppen im Lager des Grafen Luna auf die Erstürmung der Festung des Feindes, wo die Soldaten erst in Kampfspielen ihre Kräfte miteinander messen und dann zu dem berühmten Chor „Squilli, echeggi la tromba guerriera“ sich zu einem Exerziermarsch formieren, den der französische Choreograf Philippe Giraudeau (zuständig bereits für die brillanten Todestänze der Bregenzer „Maskenball“-Produktion von 1999) als grandioses Military-Spektakel wie für das berühmte Edinburgher Tattoo arrangiert hat. In der Inszenierung von Offenbachs Opéra-Bouffe „Blaubart“ im Theater am Kornmarkt, die als aufgepeppte TV-Klamauk-Comedy in der Slapstick-Tradition der englischen Gilbert-and-Sullivan-Nachfolge steht, sorgt der englische Choreograf William Tuckett für den Höhepunkt des Amüsements, wenn er von vier Froschmännern in ihrer knallroten Tauchermontur mit blauen Schwimmflossen eine Art Flossen-Plattler (als maritime Variante zum Schuhplattler) über die Planken brettern lässt.
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