Aus Nürnberg via Aldeburgh nach Bregenz - und weiter nach Prag und Lyon

Benjamin Brittens „Death in Venice“ mit dem Tanztheater Nürnberg

oe
Bregenz, 29/07/2007

Benjamin Britten denn also bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen – mit Dmitri Schostakowitsch, seinem russischen Komponistenfreund. Doch nicht etwa beim Spiel aus dem See – dort war wieder einmal „Tosca“ an der Reihe. Wo doch Britten zumindest zwei ausgesprochene Seeopern komponiert hat: „Peter Grimes“ und „Billy Budd“. Doch wenigstens schwappte das Meer bis ins Festspielhaus: beim „Tod in Venedig“, die Serenissima, meerumspült. Dies ist eine große Ballettoper – und mit der Verpflichtung von Daniela Kurz und dem Tanztheater Nürnberg ist der Festspieldirektion ein glänzender Coup gelungen.

Meine Fantasie geht allerdings noch ein bisschen weiter: wie wenn man Daniela Kurz und ihre Nürnberger für eine gründlich überarbeitete Neuproduktion von Britten/Crankos „Pagodenprinz“ eingeladen hätte – für eine Ehrenrettung des dramaturgisch verunglückten, aber musikalisch so reizvollen Balletts zu Crankos 80. Geburtstag (der sogar exakt in die Festspielsaison fällt)? Nicht unbedingt als Spiel auf dem See (obgleich ich mir bei den vielen fernöstlichen Klängen auch ein völlig neues Libretto à la „Sindbad der Seefahrer“ hätte vorstellen können. Doch warum nicht einen Britten-Ballettabend – vielleicht auch ein Britten-Schostakowitsch-Tandem im Festspielhaus oder mehr experimenteller Art auf der Werkstattbühne?

So hatte man die Nürnberger immerhin gut zwei Wochen am Ort – und ließ sie zwischen den fünf Vorstellungsterminen spazierengehen. Und da der neue „Tod in Venedig“ eine Koproduktion mit dem Aldeburgh Festival war (mit Prag und Lyon als weitere Stationen), hätte auch Aldeburgh – Uraufführungsart diverser Britten-Cranko Kooperationen – an dieser Cranko-Hommage beteiligt werden können. Eine verpasste Gelegenheit! Ich weiß, ich weiß: das Risiko und die Quote! Aber etwas mehr Mut hätte ich der Aldeburgh-Bregenz-Connection schon zugetraut! Schade drum! Denn die Nürnberger erweisen sich als das i-Tüpfelchen der rundum gelungenen Produktion des Japaners Yoshi Oida (über die viel Positives zu sagen wäre – wie auch über die musikalische Qualität unter der Leitung des Dirigenten Paul Daniel – doch dafür fehlt mir hier der Raum).

Daniela Kurzens Choreografie und ihre lupenreine, klare und luzide, ästhetisch überwältigend schöne Einstudierung und Ausführung gehören zum Besten, was ich von den Nürnbergern in all den Kurz-Jahren gesehen habe. Und auch hier geht meine Fantasie wieder einmal mit mir durch, und ich stelle mir die beiden großen Ballettsequenzen in dieser Version zusammengefasst in einem neuen dramaturgischen Rahmen als Teil eines Nürnberger Ballettabends vor. Doch dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen, da das Ende der Nürnberger „Kurz-Ära“ absehbar ist. Hoffentlich bleiben diese Choreografien zumindest als Videoaufzeichnungen erhalten.

Ist Tadzio, der von Aschenbach als Wunschbild idealer Schönheit vergötterte polnische Junge, der ja in der Oper eine stumme Rolle ist, überhaupt von einem Tänzer darstellbar? Nach der aus meiner Sicht totalen Fehlbesetzung in John Neumeiers Hamburger Ballettversion ist der Nürnberger Pavel Povraznik (ein Tscheche) sicher eine stimmigere Besetzung – allein der Götterknabe, wie ihn Thomas Mann und Britten sich vorgestellt haben (und der er in Viscontis Film auch war), ist er sicher nicht, dafür fehlen ihm ein paar Zentimeter (genau diejenigen, die Hamburgs Langer Lulatsch zu viel hat). Und an Schönheit wird er allemal durch seinen Freund Jaschiu (Samuel Delvaux) übertroffen (wie der Hamburger Tadzio durch Arsen Megrabian). Wenn ich in meiner Erinnerung ein halbes Jahrhundert Revue passieren lassen, kann ich mir immerhin drei Tänzer in ihren jungen Jahren als Manns/Brittens idealen Tadzio vorstellen: Vassili Sulich (von der Miskovitch Kompanie), dann Ib Andersen (vom Königlich Dänischen Ballett) und Eric Vu An (Béjarts Saint Sebastien).

Was die Choreografie angeht, so hat sie zwei umfangreiche konzertante Strecken zu füllen. Kurz beginnt bereits mit der wunderbar flüssigen Kantilene der Gondolieri, die sie reliefartig die Bühne passieren lässt. Dann kommt die große Sequenz der Kinderspiele am Lido, die bei ihr so gar nichts Infantiles an sich haben, gleichwohl in ihrer ausgepichten Künstlichkeit etwas Kindliches: wie Kinder aus dem Paradies, aufgeteilt zumeist in Dreier-Gruppen, von einer knisternd-knirschenden, morgentaubestäubten Frische. Ein einziger ästhetischer Genuss! Und dann der große olympische Wettstreit, bei dem sich Kurz klugerweise jeglicher buchstäblichen Illustration (Laufen, Springen etc.) enthält – dessen einzelne Disziplinen hier eher wie eine Konkurrenz in olympischer Schönheit arrangiert sind: spannungsvoll – sehnig – gestählt. Auch dies wieder atemberaubend anzusehen, in welcher Klarheit es von den Nürnbergern ausgeführt wird. Nur den Ringkampf zwischen Tadzio und Jaschiu hätte ich mir etwas härter, aggressiver gewünscht (da hat die Choreografie von Martha Clarke in der TV-Produktion aus Glyndebourne – auch auf DVD erhältlich – wesentlich mehr Biss).

Für nicht besonders geglückt halte ist die Kostüme von Richard Hudson (wenigstens die für die Boys) – da sind die Kostüme der Glyndebourne-Produktion (auf dem Besetzungszettel steht nur Tobias Hoheisel als gesamtverantwortlich für Stage Design) wesentlich sexier. Es ist die totale Stilisierung – die total mit Oidas leicht japanisch timbrierter Inszenierung konformgeht –, die den exquisiten Reiz der Choreografie von Daniela Kurz ausmacht, auch in dem strengen Fackel- und Feuer-Ritual. Wenn Reid Anderson diese Produktion gesehen hätte, hätte er vielleicht doch Daniela Kurz die längst überfällige Produktion von Britten/Crankos „Pagodenprinzen“ anvertraut (mit Angela Dauber als Dramaturgin?)!

 

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