Angsttanz im scheinbar toten Winkel

Efrat Stemplers „Shu Shu“ im Dock 11 thematisiert Rundumüberwachung

Berlin, 15/09/2006

Die Ecke eines Zimmers aus hochragend bespannten Metallrahmen, wie sie fast die gesamte Szene des Dock 11 einnimmt, lässt nichts Gutes ahnen. Und auch die jenen scheinbar toten Winkel außen umgebenden menschenleeren Schreibtische verstärken die bedrohliche Situation. Zwei Frauen und ein Mann bevölkern den gefährlich kahlen Raum. Denn was immer das Trio in diesem Zimmer verbindet, was immer es dort zusammengeführt hat, lässt auf Freiwilligkeit nicht schließen. Die drei belauern sich, als wolle jeder den anderen ertappen und einer Tat überführen. Welche das sein könnte, bleibt ebenso ungewiss wie der Titel „Shu Shu“ dieser einstündigen Tanz-Video-Performance der Israelin Efrat Stempler.

Nicht nur die mobilen Kameras der Tänzer, versteckt unter Gürtel, Sakko, Bluse, zeichnen das Geschehen live auf. Auch dort, wo sie sich zuvor aufgehalten haben, auf Bahnhöfen, in ruinösen Gebäuden, beim Waldlauf, wurden sie minutiös gefilmt. Beides, das vorgefertigte Video und die Momentaufnahme, mischt sich auf den Zimmerwänden zu einer flimmernden Bildtapete und verstärkt wie auch eine wummernde Toncollage den Eindruck von Rundumüberwachung. Demolierte Beziehungen sind der Preis. Man be- und verdrängt, küsst und schlägt einander, findet sich in wechselnder, vom ausgeschlossenen Dritten beargwöhnter Zweckgemeinschaft. Fremdheit bleibt das Dach, unter dem sich die Begegnungen ereignen, in Angst, Misstrauen, Hass. Die Frau umarmt ihre Konkurrentin zu Boden, der Mann kommt später kaum nach, die fallenden Frauen zu stützen. Allmählich fangen sie ihn im Miteinander ihres Kampfes ein, scheinen beide in ihn verliebt, setzen ihr Gerangel ohne den Singenden fort.

Erregtes Geschrei der Akteure wird mehrfach von Stimmen aus dem Off ergänzt. Sag doch mal was, fordert jemand, fragt nach einem Was und Wo, möchte nicht im Stich gelassen werden, erwähnt den Tod eines Kindes, will nur helfen. Was immer die Tänzer beginnen, formt ihre eingezwängte Quarantäne in Aggression, Entladung, Unterdrückung um. Tanz voller Rempeleien, Ansprünge, Hebungen wird zunehmend dynamischer, rabiater, riskanter. Wie Kriechtiere halten sich die drei fauchend im Liegestütz. Zwei entkleiden sich bis auf die Unterwäsche, vereinen sich im zärtlichen Taumel, die zweite Frau, peinlich intim fragend, spielt mit ihnen Sicherheitskontrolle, dreht schließlich durch, wird zur leblosen Duettpartnerin, ballert alle nieder. Zwar haben sich bis dahin nicht alle Detailfragen an Efrat Stemplers Stück beantwortet; eine Stimmung teilt die Choreografin indes konzentriert mit und hat in Anat Vaadia, Eric Niv und besonders Brit Rodemund starke Darsteller zur Seite.

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