Tanz der metallenen Irrwische

Yumiko Yoshiokas luftiges Solo „Su-i“ im Dock 11

Berlin, 29/09/2006

Das waren noch Zeiten, als Berlin mit tatoeba über ein groteskes Tanztheater von Rang verfügte, sich Hochburg des Butoh nennen durfte. Ab 1988 schockierten, verstörten, polarisierten die tatoeba-Akteure fast zehn Jahre lang mit Produktionen, die sie an Spielorten vom Maxim-Gorki-Theater bis, ungewöhnlich genug, zur Nazareth-Kirche in Wedding zeigten. Butoh, den um 1960 entstandenen Tanz der Finsternis und des Todes, die Bild gewordene Rebellion des Körpers gegen jedwede Eingrenzung, kreuzten sie dabei erfolgreich mit Traditionen des deutschen Ausdruckstanzes, bezeichneten Wigman, Kreutzberg, Anita Berber, Valeska Gert als Ahnen. „Die letzte Hochzeit“, “Rent-A-Body“, „Hana-mo, Dango-mo“, „Die zwölf Kimonos“, „Last Dinner“ hießen die Stücke, die Zerlumpte oder Nackte in absurde Situationen stellten, mit kreidebleichen Gesichtern, verrenkten Körpern, in provokanter Langsamkeit. Untergründige seelische Bezirke sollten so aktiviert und sichtbar gemacht werden.

Man konnte über tatoeba streiten – eine feste Adresse war die Gruppe stets, gastierte überregional, zog weitere Vertreter des Butoh an. Als das Tanztheater in alle Winde zersplitterte, blieb zunächst Berlin ein Splitter erhalten: die zierliche Yumiko Yoshioka. Auf Schloss Bröllin, denkmalgeschütztes Zentrum internationaler Kunstforschung 120 Kilometer außerhalb der Hauptstadt, hat sie gemeinsam mit Gleichgesinnten als Ten Pen Chii art labor ihren Arbeitssitz gefunden. Im Dock 11 an der Kastanienallee unterrichtet sie, dort stellte sie nun das Solo „Su-i“ vor. Quintessenz oder Kern bedeutet das japanische Wort, weist jedoch auch auf Verfall hin. Joachim Manger, Bildhauer und Designer, zeichnet für Regie, Installation und Konzept verantwortlich.

Auf Gerüsten umsitzt man zweistöckig die Spielfläche, auf der vier Schalen liegen, UFO, Bildschirm, Pupille, Weltenscheibe. In gelbgeplüschtem Oberteil schmiegt sich Yoshioka zu blubberndem Geräusch einem der rätselhaften Objekte an, mit ruckhaftem Gestus und krallenden Händen, Vogel oder Insekt. Als sie abrutscht, setzt sie mit dem Fuß ihre Scheibe in Drehbewegung, kribbelt wie ein Käfer umher. Projektionen von Manometern geistern über die Wände. Dann betätigt sie das Ventil, lässt unter gewaltigem Zischen Luft aus der treidelnd tobenden Scheibe entweichen. Yoshiokas Haupttätigkeit: quälend lange elf weitere UFOs aller Größe herbeizutragen und in ein erotisches Verhältnis zu ihnen zu treten. Am Ende der 60 Minuten choreografischer Ratlosigkeit verströmen sie alle ihren Inhalt, wie Irrwische tanzend, funkenstiebend gegen das Mauerwerk prallend, schier endlos kreiselnd. Yoshioka hat sich da längst davongemacht, so unspektakulär wie ihre Anwesenheit war. Eben abgelassene Luft. Das waren noch Zeiten ...

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