Theaterzauber

Bridget Breiners „Zeitsprünge“ im Stuttgarter Kunstmuseum

Stuttgart, 05/11/2007

Kann es wirklich sein, dass aus den Noverre-Workshops beim Stuttgarter Ballett schon wieder ein choreografisches Talent hervorgeht? Noch ist man dankbar für Marco Goecke, schon kommt Bridget Breiner, die nach Dresden abgewanderte und nur noch in Teilzeit beschäftigte Erste Solistin der Stuttgarter Kompanie, die im Rahmen des Cranko-Festivals nun ein Stück für die John-Cranko-Schule choreografiert hat. Wenn man im Stuttgarter Kunstmuseum durch ihr Gesamtkunstwerk aus Raum, Musik, Texten und Choreografie geht, wenn man sieht, wie sie mit Bildern und Assoziationen Geschichten erzählt und mit wenigen Mitteln eine dichte Atmosphäre kreiert, wie sie die Ballettschüler dabei nicht nur als Kinder und Jugendliche respektiert, sondern gerade ihre Jugend in den Mittelpunkt eines von Krieg, Leid und Kunst erzählenden Stückes stellt - dann fällt einem manchmal nur noch das Wort Theaterzauber ein.

Nicht im berühmten Glaswürfel, sondern in beiden unteren Stockwerken folgen die Zuschauer den 32 Schülern durch die Ausstellung „Im Rampenlicht“, die Bühnenbilder des Stuttgarter Künstlers Willi Baumeister zeigt. Breiner bezieht ihr Stück auf ein Ballett von Osvald Lemanis, das 1950 im Württembergischen Staatstheater uraufgeführt wurde: „In Scribo Satanis“ mit Musik des Stuttgarter Komponisten Otto-Erich Schilling und Bühnenbildern des von den Nazis als entartet gebrandmarkten Baumeister, dessen Archiv das Kunstmuseum heute beherbergt. In den weiten Räumen erzählt die Amerikanerin Breiner nicht wie damals eine Geschichte vom verlorenen Sohn, sondern sie lässt in die spätromantische Musik die Stimmen von zwei Zeitzeugen hineinklingen, von Felicitas Baumeister, der Tochter des Künstlers, und von Georgette Tsinguirides, heute Choreologin des Stuttgarter Balletts und nach dem Krieg blutjunge Tänzerin am Opernhaus. Sie erzählen von der Angst der Kinder um ihre Eltern, vom Leiden der Künstler unter den Nazis - und wie glücklich die Menschen waren, als sie nach dem Krieg wieder ins Theater gehen konnten.

Breiner choreografiert dazu Szenen von Verlust und Angst, vom Trost in der Familie und vor allem von Hoffnung und Aufbruch. Mit dem Spürsinn eines Theatermagiers integriert sie den Tanz in die Architektur des Museums, benutzt die Durchgänge als Guckkastentheater, lässt uns über Balkone spähen und in die langen Fluchten wie in die Vergangenheit blicken. Sie spielt mit Schatten an der Wand, erfüllt Baumeisters Kostüme mit Leben und setzt in den Studenten der Cranko-Schule eine dramatische Kraft frei, die man bei aller Bewunderung für die Spitzenqualität der Schule kaum für möglich gehalten hätte. Ob modern oder klassisch, auf Spitze oder barfuß, verzweifelt oder komisch: Die Kinder und Jugendlichen sind einfach unglaublich. Schon die 11- oder 12-Jährigen haben bei aller Natürlichkeit ihrer Bewegungen ein künstlerisches Bewusstsein und wissen ganz genau, was ihre Körper erzählen, worüber sie tanzen. Bis hin zu dem fröhlichen kleinen Jungen, den Breiner am Ende hinter seinen davonstürmenden Freunden hinaustanzen lässt, ein letztes Symbol der Zuversicht, dass die Kunst den Krieg überwindet. Der Jubel im Kunstmuseum dauerte fast so lang wie die einstündige Aufführung.
 

Links: www.stuttgart-ballet.de / www.kunstmuseum-stuttgart.de / www.willi-baumeister.com

 

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