„Peer Gynt“ à la Malakhov
Die Zürcher Spoerli-Produktion im Staatsballett-Format
Heinz Spoerli choreografiert „Peer Gynt“
Ein fulminanter Theaterabend, diese jüngste Zürcher Premiere: „Peer Gynt“ – nicht etwa ausgewiesen als Tanztheater nach Ibsen und Grieg, sondern als Ballett von Heinz Spoerli. Und ist doch richtig saftiges Theater – und Tanz sowieso. Und obendrein Text, viel Ibsenscher Text, der von Peers Alter Ego, dem Schauspieler Sebastian Hülk gesprochen und von fünf hochkarätigen Solisten der Zürcher Oper gesungen wird. Weiter beteiligt: das Orchester der Zürcher Oper und der Zusatzchor des Hauses. Aber auch Grieg ist natürlich an diesem Abend dabei, mit seiner Schauspielmusik und einigen zusätzlichen Stücken, ergänzt durch Kompositionen von Brett Dean und Mark-Anthony Turnage. Und da auch der Ausstatter Florian Etti sich nicht lumpen ließ, könnte das Ganze durchaus als tanztheatralische Gewaltanstrengung fungieren. Tut es aber nicht, sondern nennt sich schlicht und einfach Ballett. Wie in guten alten Zeiten! Gleichwohl dominiert der Tanz im schönsten Einklang mit der Musik – und der junge norwegische Dirigent Eivind Gullberg Jensen weiß, was er seinem großen Landsmann schuldig ist – zumal im Jahr der hundertsten Wiederkehr seines Todestages.
Die Aufführung hat eine Qualität, dass man mutmaßen könnte, dass Ibsen und Grieg, wären sie dabei gewesen, ihrem Peer, diesem unverbesserlichen Abenteurer, Aufschneider und Träumer, der auf der ständigen Suche nach sich selbst, seinem wahren Ich ist, eine weitere Eigenschaft angedichtet hätten: die des Tänzers. Denn die hat Spoerli in ihm entdeckt – über John Neumeier und Jochen Ulrich hinausgehend, die sich schon früher auf die Suche nach dem tänzerischen Gen in Peer begeben haben. Und zwar in dem blendend aussehenden jungen Russen Semyon Chudin, einem richtigen Heldensohn, der ein Verwandter des in Hamburg engagierten Edvin Revazov, Neumeiers Tadzio, sein könnte, der aber ein viel kultivierterer Tänzer als sein grobschlächtiger russischer Kollege ist. Und den Spoerli auf seine lebenserkundende Reise um die halbe Welt schickt.
Einmal mehr erweist sich Spoerli als einer der ganz wenigen formidablen Geschichtenerzähler des Balletts, die heute noch übriggeblieben sind. Ob leicht fantasie-folkloristisch inspirierte nordische Tänze, ob die grotesken Eskapaden im Reich der Trolle (eine wahre Höllenorgie) oder in den Sandstürmen Marokkos: ein Meisterlinguist der tänzerischen Sprache, ist Spoerli in vielerlei Idiomen der Welt zu Hause (wie unter seinen Kollegen sonst nur noch der Russe Alexej Ratmansky. Nur kurz vor Schluss, im Irrenhaus von Kairo und bei Peers Heimkehr und Schiffbruch verwirren sich die Handlungsstränge, sind wir auf die Erklärungen im Programmheft angewiesen, und es fällt schwer, den immer stärker in Erscheinung tretenden Tod als solchen zu identifizieren.
Mit dem enormen Personenaufgebot des Dramas bieten sich dem Ballett mannigfache Rollenchancen, in die sich die Zürcher Tänzer mit Wonne stürzen. Nicht nur die beiden Protagonisten Semyon Chudin als Peer, dem die pure Lebenslust aus allen Poren quillt, und Yen Han, die von einem inneren Leuchten erfüllte, sich in sorgender Selbstlosigkeit verausgabende Solveig, sondern auch Karin Pellmont als realistisch-bodenständige Mutter Ase und der wie von elektrischen Stromstößen gejagte Arman Grigoryan als Bergkönig und die orientalisch-sinnlich-verführerische Julie Gardette als Anitra liefern scharf profilierte Charakterstudien ab. Einmal mehr beeindrucken die Jungmänner des Zürcher Balletts durch ihre geradezu explosiven Sprungkanonaden. In der Tat exponieren gleich die Hochzeitstänze am Anfang die Sprengkraft, die in dieser Kompanie steckt. Insofern erweisen sich die Tänzer der Spoerli-Truppe als die helvetischen Vettern der tanzenden Schwaben vom Nesenbach.
Mit der Produktion dieses „Peer Gynt“-Balletts hat die Zürcher Oper Griegs Opus 21 zu einem Avancement verholfen, das die Komposition aus der Kompetenz einer Schauspiel-Begleitmusik in den Rang einer Dramatischen Sinfonie mit Solisten, Chören und Tänzen erhebt. Berlioz‘ „Damnation de Faust“ und „Lélio“ lassen grüßen!
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